Wie Aktivist:innen mit Sozialen Medien Missstände bekämpfen

Die Sozialen Medien haben in zensierenden Regimen das Potenzial, die fehlende Kritik- und Kontrollfunktion der Massenmedien im Kampf gegen Korruption auszugleichen.

Die Sozialen Medien sind wie eine randvoll gepackte Wundertüte: Man weiß nie genau, was man bekommt. Von witzigen Katzenvideos, über do-it-yourself-Videos (DIY’s) bis hin zu kritischen Blog-Posts über Korruption in staatsnahen Firmen, die seinen Verfasser zum größten Oppositionsführer des Landes machten wie Alexei Nawalny in Russland. 

Der damalige Anwalt in Russland schrieb auf Social Media zahlreiche Beiträge über fragwürdige Spenden des staatsnahen Öl-Unternehmens Transneft in 2010. Aber Nawalny ist nur ein Beispiel wie erfolgreiche Aktivist*innen auf der ganzen Welt mit den Sozialen Medien gegen autoritäre Machthaber:innen in ihren Ländern kämpfen. 

Grundsätzlich gilt: Eine starke Zensur der Massenmedien ist demokratiegefährdend. Diese Gefahr kann jedoch zumindest teilweise durch die Sozialen Medien ausgeglichen werden. Diese können, sofern sie wahrheitsgemäß und kritisch eingesetzt werden, demokratiefördernd sein. Besonders in solchen Fällen bieten die Sozialen Medien eine Chance, sich regimekritisch zu äußern und Missstände aufzudecken – eine Möglichkeit, die den zensierten Medien aus unterschiedlichen Gründen (wirtschaftliches Interesse, Korruption etc.) verwehrt bleibt. 

Die Medien werden oft als „vierte Gewalt“ (neben Exekutive, Judikative und Legislative) im Staat bezeichnet, da sie sowohl eine Informations- als auch Kontrollfunktion gegenüber der Öffentlichkeit haben. Kritische Berichterstattung informiert Bürger:innen, währenddessen Medien gleichzeitig Machtorgane in ihrem Tun überwachen. Sobald Wirtschaft oder Politik diese vierte Gewalt unterdrücken, kontrollieren oder massiv beeinflussen, wird das, was tatsächlich im Land passiert, nicht mehr objektiv abgebildet. Den Bürger:innen fehlen damit Informationen, die sie für ihre persönlichen politischen Entscheidungen brauchen – schlussendlich spätestens in der Wahlkabine.

Die Sozialen Medien werden oft als weniger relevant hingestellt für die Verbreitung von kritischen und hochwertigen Inhalten: Da ja unabhängig von Ausbildung und Fachexpertise jeder Mensch ohne große Zugangsbeschränkungen dort schreiben und posten kann was er meint,  könnte damit ja auch die Qualität nicht so hoch sein, wie in klassischen journalistischen Medien – so die holzschnittartige These. Die Sozialen Medien können jedoch sehr wohl dafür sorgen, dass Machthaber:innen sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen oder auch durch sie in Bedrängnis kommen; vor allem in Staaten, wo traditionellen Medien durch Staatszensur diese Rolle nicht ausreichend erfüllen können oder wollen.

Aktivist:innen nutzen Soziale Medien für Proteste

Der Erfolg der Einen, ist das Problem der anderen: Autokratische Herrscher:innen haben ebenfalls erkannt, dass Sozialen Medien durch ihre Kritikfunktion zum Problem für sie werden können. Und darüber hinaus: Sie werden von Aktivist:innen oft als Verständigungs-Tool verwendet werden. 

  • So z.B. in Weißrussland, wo Alexander Lukaschenko – auch bekannt als der „letzte Diktator Europas“ – regelmäßig das Internet abdrehen lässt, um Großproteste zu verhindern. Dem österreichischen Unternehmen A1 kommt dabei eine besondere Rolle zu, da die Tochterfirma A1 Belarus aktiv an den Internet-Shutdowns mitgewirkt haben soll. 
  • In China sind Twitter, Facebook und auch Instagram gesperrt. Dafür gibt es eigene Soziale Medien wie Weibo oder WeChat, die alle unter staatlicher Kontrolle stehen. Bis zum neuen Sicherheitsgesetz in Hongkong waren diese Dienste erlaubt gewesen. Während der Proteste sind die Social-Media-Riesen – möglicherweise im Auftrag von China – gegen User:innen vorgegangen, die die Protest-Bewegung aktiv unterstützten: Twitter sperrte rund 1.000 aktive und 200.000 Konten vorsorglich. Auch Facebook ließ im Zuge der Proteste Konten sperren. 
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How to do online activism – in fünf Schritten

Wir haben fünf einfache Schritte zusammengefasst, wie man sich online für Aktivismus jeglicher Art und die Bekämpfung von Missständen einsetzen kann. 

1. Fragen stellen: 

Alexei Nawalny fühlte beispielsweise dem staatsnahen russischen Öl-Unternehmen Transneft kritisch auf den Zahn: Die Firma gab nach eigenen Angaben sehr viel Geld für Charity-Vereine aus, sogar mehr als für Kapital-Investment. Welche Vereine diese Spenden jedoch erhielten, wurden nie offengelegt. Nawalny rief also alle führenden Charity-Organisationen des Landes an und siehe da – kaum jemand hatte Spenden von Transneft bekommen, schon gar nicht so hohe wie von der Firma angegeben Damit brachte er das Quasi-Staatsunternehmen unter enormen öffentlichen Druck. 

2. Beweismaterial veröffentlichen: 

Nawalny stellte aber nicht nur Fragen, er postete auch interne Unterlagen, die laut seiner Darstellung aus dem Unternehmen stammen sollen: Daraus würde hervorgehen, dass der Konzern beim Bau einer Ölpipeline nach China vier Milliarden Dollar veruntreut haben solle.

3. So niederschwellig wie möglich halten, damit alle mitmachen können

Das Internet und die Sozialen Medien haben eine sehr niedrige Hemmschwelle: Alle, die auf einer Plattform angemeldet sind, können meistens ohne Mehrkosten auf dieser posten und ihre Meinung äußern. Petitionen und Aktionen, die auf den Sozialen Medien angefangen haben, wie die z.B. #icebucketchallenge bei der man sich vor laufender Kamera einen Kübel Eiswasser über den Kopf gekippt hat, um auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam zu machen, können relativ einfach an Aktionen und Events in der offline-Welt geknüpft werden. 

4. Sharing is caring

Nicht alle müssen ihre eigene „Brand“ (eigene Marke) in den Sozialen Medien hinterlassen und Vollzeit-Online Aktivist:innen werden, um etwas zu bewegen. Allein das Teilen und Liken von anderen Aktivist:innen erreicht zumeist ein größeres Publikum durch die eigene Followerzahl. Eine andere Möglichkeit wäre die Aktionen nicht nur durch Aufmerksamkeit zu unterstützen, sondern auch über die Spenden-Buttons auf Instagram monetär oder durch unentgeltliche Arbeit als Volontär:in. Durch die Sozialen Medien kann man sich auch gut mit anderen Aktivist:innen vernetzen und dadurch die eigene Community – Gemeinschaft – erweitern. 

5. Create Hashtages und Challenges

Hashtages erleichtern nicht nur die Suche nach Posts in der schier unübersehbaren Fülle von Beiträgen in den Sozialen Medien, sondern sie können ganze soziale Bewegungen beflügeln wie #blacklivesmatter oder #metoo. Durch die niedrige Hemmschwelle von den Sozialen Medien können verschiedenste Akteur:innen aus zumindest fast allen sozio-ökonomischen Schichten und Regionen der Welt ihre virtuelle Stimme zu einem bestimmen Thema erheben. Menschenrechtsverletzungen, Korruptions- oder Belästigungsvorfälle können durch einzelne Geschichten zu einer globalen Bewegung werden. Sobald man selbst ein neues Problem oder Themengebiet in den Sozialen Medien öffnet, sollte man gleich einen Hashtag kreieren, um das Teilen und Wiederfinden möglichst einfach zu machen. Durch das Internet und die Sozialen Medien wurden geographische Themeneinschränkungen und zeitverzögerte Berichterstattung durch die klassischen Massenmedien ausgehebelt.