Dienen bedeutet unter anderem, „sich einer Sache oder Person freiwillig unterordnen und für sie wirken; für jemanden, etwas eintreten“. So steht das im Duden. Es ist also nicht das schlechteste Wort für das, was gewählte Volksvertreter:innen tun sollten. Die eigenen Interessen für die Zeit des Amts dem Wohl Österreichs unterzuordnen, das ist der Job.
In feierlichen Reden von US-Präsidenten geht es oft um die Ehre, der Nation und ihrer Bürger:innen zu dienen. Fast immer dankt ein neuer Präsident seinem Vorgänger für seinen Dienst, egal, ob er derselben Partei angehört oder der gegnerischen. Und schließlich versprachen die meisten US-Präsidenten selbst, Diener der Nation zu sein:
„Ich werde alles geben, um alles, was ich tue, in Ihrem Dienst zu tun. Wobei ich nicht an Macht, sondern an Möglichkeiten denke, nicht an persönliche Interessen, sondern an das öffentliche Wohl.“
Joe Biden
„Im Zentrum dieser Bewegung steht eine entscheidende Überzeugung: dass eine Nation existiert, um ihren Bürgern zu dienen.“
Donald J. Trump
„Meine amerikanischen Mitbürger, der Eid, den ich heute vor Ihnen geschworen habe, war, wie der von anderen, die in diesem Kapitol dienen, ein Eid auf Gott und das Land, nicht auf eine Partei oder Fraktion – und wir müssen dieses Versprechen während der Dauer unseres Dienstes treu ausführen.“
Barack Obama
„Meine feierlichste Pflicht ist es, diese Nation und ihr Volk vor weiteren Angriffen und neuen Bedrohungen zu schützen.“
George W. Bush am Beginn seiner 2. Amtszeit, also nach den Terror-Anschlägen von 9/11
„Ich fordere eine neue Generation junger Amerikaner zu einer Zeit des Dienens heraus; […] Indem wir dienen, erkennen wir eine einfache, aber mächtige Wahrheit: Wir brauchen uns gegenseitig. Und wir müssen füreinander sorgen.“
Bill Clinton
„[…] uns ist die Macht nicht gegeben, um unsere eigenen Ziele voranzutreiben, noch um in der Welt eine große Show abzuziehen, noch um uns einen Namen zu machen. Es gibt nur einen gerechten Gebrauch der Macht, und der ist, den Menschen zu dienen. Hilf uns, uns daran zu erinnern, Herr. Amen.“
George H. W. Bush in Form eines Gebets
Dienen und nicht rummosern
Auch andere politische Führungspersönlichkeiten weltweit betonen die Pflicht zu dienen und den Wert und die Ehre des Dienens. Chinas Staatspräsident Xi Jinping sagt immer wieder, seine Partei existiere, um „von ganzem Herzen dem Volk zu dienen“. Frankreichs Emmanuel Macron versprach bei seinem Antritt 2017 Frankreich „mit Demut und Stärke“ zu dienen. Angela Merkel, die auffällig oft von ihrer Pflicht, dem Land zu dienen, spricht, sagte am Parteitag der CDU 2018, es müsse sich jede Partei fragen: „Was kann ich für dieses Land tun. Denn das ist die Aufgabe von Politik – zu dienen und nicht rumzumosern.“ Und selbst Queen Elizabeth II sagte bei ihrer Krönungszeremonie 1953: „Ich habe mich aufrichtig zu Ihrem Dienst verpflichtet, so wie so viele von Ihnen zu meinem Dienst verpflichtet sind. Mein ganzes Leben lang und mit ganzem Herzen werde ich mich bemühen, Ihres Vertrauens würdig zu sein.“
Keiner der genannten Personen würde man deshalb Schwäche unterstellen. Im Gegenteil, ihr Bekenntnis zur Dienerschaft lässt sie verantwortungsbewusst und stark wirken.
Die größte Ehre eines Lebens
„Österreich dienen — und keiner Partei“ stand 2016 auf den Wahlplakaten von Bundespräsident Van der Bellen (Grüne/parteifrei). Tatsächlich ist der Bundespräsident einer der wenigen österreichischen Politiker:innen, die regelmäßig darauf hinweisen, dass sie Österreich und den darin lebenden Menschen dienen. So sagte er etwa nach Bekanntwerden des „Ibiza-Videos“ 2019: „Ein Politiker ist dazu gewählt, seinem Land zu dienen. Um das gut zu machen, muss er oder sie unterscheiden – genau unterscheiden – können, was anständig ist und was nicht, was korrekt ist und was korrupt, was sich gehört oder eben nicht.“
Ein Bundespräsident, so scheint es manchmal in Österreich, ist noch am ehesten einer, der für alle da sein und allen dienen kann, denn er ist frei davon, sich täglich im politischen Tagesgeschäft mit anderen messen zu müssen.
Österreichs erste Kanzlerin Brigitte Bierlein (parteifrei) verabschiedete sich mit den Worten: „Österreich dienen zu dürfen war die größte Ehre meines Lebens“ aus dem Amt. Doris Bures (SPÖ) dankte dem Nationalrat, nachdem sie erneut zu dessen zweiter Präsidentin gewählt wurde, dafür, „diesem österreichischen Nationalrat und damit unserer Demokratie“ dienen zu dürfen.
Blättert man durch die Abgeordnetenprofile auf der Kinderseite des Österreichischen Parlaments, fällt auf, dass besonders Abgeordnete der FPÖ oft den Dienst am Staat Österreich als ihren Grund in die Politik zu gehen nennen. Auch in FPÖ-Wahlkampfreden kommt das Thema immer wieder auf. Kein Zufall, schließlich möchte die FPÖ als die Partei gelten, die für den kleinen Mann und die kleine Frau arbeitet.
NEOS haben den Begriff quasi modernisiert und schreiben gleich im ersten Absatz ihres Parteiprogramms: „Wir NEOS verstehen Politiker_innen als Dienstleister_innen für die Anliegen der Bürger_innen.“ Auch Irmgard Griss betonte in ihren Reden als Abgeordnete den Dienst am Gemeinwohl, den Politiker:innen zu leisten hätten.
Auf einer Pressekonferenz einige Zeit vor Bekanntwerdens des „Ibiza-Videos“ sprachen Bundeskanzler Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (damals FPÖ) davon, dass es „wunderschön sei, Österreich zu dienen“. In einer Rede vor dem Nationalrat sagte Strache: „Wir verstehen unsere Arbeit so, dass wir der österreichischen Bevölkerung zu dienen haben, und zwar mit Verantwortung, aber vor allen Dingen auch in großer Demut, denn wir sind alle endlich, wir wissen, dass diese Aufgabe, die wir übertragen bekommen haben, eine Aufgabe mit großer Verantwortung ist.“ Die Ereignisse auf Ibiza lassen an seinen Worten zumindest zweifeln.
„Ein Politiker ist dazu gewählt, seinem Land zu dienen. Um das gut zu machen, muss er oder sie unterscheiden genau unterscheiden können, was anständig ist und was nicht, was korrekt ist und was korrupt, was sich gehört oder eben nicht.“
Alexander Van der Bellen
Die aktuelle türkis-grüne Bundesregierung fällt zumindest nicht dadurch auf, sich häufig als Volksdiener:innen zu bezeichnen. Das muss nicht bedeuten, dass sie sich nicht so sieht. Es ist eine Frage des Stils. Nach der Angelobung 2019 sagte Bundeskanzler Kurz über die ÖVP-Regierungsmitglieder dass sie „durch den Willen geeint seien, tagein, tagaus den Menschen in Österreich zu dienen“.
„Sei froh, dass du hier im Hohen Haus dienen darfst“
In den Debatten des Österreichischen Parlaments wird der Begriff des Dienens häufig ganz anders gebraucht. Nämlich dazu, dem Gegner auf Österreichisch gesagt eine aufzulegen.
So antwortete Bundesminister Heinz Faßmann (ÖVP) auf Kritik des Bundesrats an seiner Politik während der Pandemie: „Weil Sie so viele Fragen zum Rücktritt gestellt haben: Ich freue mich, diesem demokratischen System aktiv dienen zu dürfen. – Herzlichen Dank.“
Herbert Kickl (FPÖ) verwendet den Gegensatz Diener und Herrscher immer wieder in seinen Reden und setzt sich als der vermeintlich einzige Volksdiener in Szene. Er macht sich dabei zunutze, dass die türkis-grüne Bundesregierung den Begriff „dienen“ so zögerlich nutzt.
Kickl rief anlässlich einer Nationalratsdebatte um den „Grünen Pass“ für gegen Corona geimpfte Personen: „Stück für Stück wird das seit einem Jahr vorangetrieben: Ein System der Entmündigung, ein System der Besachwaltung, ein System der Entrechtung von freien Bürgern, des Souveräns, dem Sie eigentlich zu dienen hätten, anstatt ihn zu beherrschen, das ist das, was Sie vorantreiben […]“
Auch die SPÖ-Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek, weiß den Moment zu nutzen, um das Konzept des Dienens aufzubringen. In einer Nationalratsdebatte zum Bundesfinanzrahmengesetz im November 2020: „Auch mir sei eine kurze Replik auf die sehr aufgeregte Rede von August Wöginger (ÖVP-Klubobmann, Anm.) gestattet: Ich stehe hier als Volksvertreterin. Wir sind Volksvertreterinnen und Volksvertreter, vereidigt auf die Verfassung, und wir haben den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen. Wenn Sie dieses Haus als ‚Theater‘ bezeichnen, dann ist das ein Angriff auf die Demokratie! Schämen Sie sich!“
Komödiantisch gewinnen kann eine solche Schlacht manchmal nur ein SPÖ-Bundesrat. So reagierte der ehemalige Arbeiterkammerpräsident und Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ) 2020 auf einen Zwischenruf seines ÖVP-Kollegen Karl Bader mit den Worten: „Sei froh, dass du hier im Hohen Haus dienen darfst, und das in einer wunderbaren Bundeshauptstadt, die Gastgeber ist!“
Um ein wenig mehr Licht ins Dunkel zu bringen, was das Wort „dienen“ nun wirklich für unsere Politiker:innen bedeutet, hat die Österreichische Demokratiestiftung diese um Video-Statements gebeten. Diese finden Sie hier.