“Viele junge Demokratien gehen weiter als die alten euro­päischen Staaten.”

Mathias Huter leitet die internationale Speerspitze von Antikorruptions-NGOs. Die UNCAC Coalition hilft internationalen und nationalen Organisationen in ihrer Funktion als Zivilgesellschaft. Mit ResPublica spricht er über die internationalen Antikorruptions­bemühungen.

Zur Person

Mathias Huter ist Direktor der NGO-Dachorganisation UNCAC Coalition. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit den Themen Transparenz, Zugang zu Informationen und Anti-Korruption. Mit dem Verein Forum Informationsfreiheit setzt er sich für ein österreichisches Informationsfreiheitsgesetz ein. Davor war er fünf Jahre für eine Nicht-Regierungs-Organisation in Georgien tätig und hat an Anti-Korruptions-Projekten in Ländern wie Ost-Timor, Ghana und Kenia mitgewirkt. 

Foto: Christian Müller

ResPublica: Was ist die UNCAC Coalition?

Mathias Huter: Die UNCAC Coalition ist ein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt, die rund um die Themen Anti-Korruption, Transparenz, Informationsfreiheit und Accountability tätig sind. Unser Ziel ist es, die Umsetzung und Monitoring der UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC – United Nations Convention Against Corruption, Anm.) voranzubringen.

Über UNODC

Die UN betreibt in Wien das Hauptquartier der UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime). Sämtliche Verhandlungen der Staaten zum Thema Korruption, werden in Wien abgehalten. Die UNCAC Coalition versucht sicherzustellen, dass auch die Zivilgesellschaft dabei gehört wird, obwohl die Möglichkeiten zur Mitwirkung von den Staaten eingeschränkt werden.

Wir unterstützen auch NGOs auf nationaler Ebene dabei, sich bei Review-Prozessen zur Antikorruptions-Konvention einzubringen und eigene Berichte zu erstellen, wie ein Land die Bestimmungen im Gesetz und in der Praxis umsetzt.

International versuchen wir die Antikorruptions-Agenda voranzutreiben, mit Empfehlungen und Erfahrungswerten aus der Zivilgesellschaft. Anfang Juni gab es zum ersten Mal eine Sondersitzung der UNO-Vollversammlung zu dem Thema, in deren Vorbereitung wir Staaten über ein Jahr lang lobbyiert haben, um die globalen Mindeststandards sowie die internationale Zusammenarbeit zu stärken.

Wie viele Mitglieder sind da dabei?

Es gibt 130 Mitgliedsorganisationen und mehr als 250 Organisationen, die im weiteren Netzwerk sind. Aktuell unterstützen wir Partner-Organisationen in 25 Ländern, die dort Berichte zur Umsetzung der Anti-Korruptionsmaßnahmen erstellen. Natürlich haben wir in Ländern, die keine kritische Zivilgesellschaft erlauben, auch keine Mitglieder, das gibt es leider auch.

Wie sieht der Kampf gegen Korruption denn derzeit aus? Verbesserung oder Kampf gegen Windmühlen?

Die internationale Kooperation gegen Korruption ist verhältnismäßig jung. Eine Zivilgesellschaft, die sich dagegen engagiert, gibt es erst seit den 90ern. Auch regionale und globale Konventionen zu Transparenz und Antikorruption gibt es erst seit knapp 20 Jahren.

Über UNCAC

Die UN Convention against Corruption wurde 2003 beschlossen, 186 Staaten und die Europäische Union haben sich verpflichtet, diese Konvention umzusetzen. Darin gibt es verpflichtende und optionale Regelungen. In einem weiteren Schritt wurde ein Reviewprozess eingeführt, um die Umsetzung der Länder zu überprüfen. Der lässt aber einiges zu wünschen über, da Länder den Bericht geheim halten können und nur eine kurze Zusammenfassung veröffentlichen müssen. Österreichs Umsetzung der Konvention wird derzeit von Deutschland und Vietnam evaluiert. UNODC hat nur eine administrative Rolle.

In den letzten zehn Jahren hat sich da schon viel getan – aber nicht genug. Die UNCAC deckt verschiedene Bereiche ab: Es geht um die Kriminalisierung von Korruptionstatbeständen, damit Korruption auch strafrechtlich verfolgt werden kann. Ein anderer Teil zielt auf die Prävention ab. Da geht es um Transparenz und Aufsichtsstellen, Rechenschaftspflichten und Mechanismen der Kontrolle. Andere Aspekte behandeln die internationale Kooperation. Wie arbeiten Staaten zusammen? Da geht es um etwa gemeinsame Ermittlungen und Auslieferungen.

Die UN-Konvention bietet aber auch die rechtliche Basis für das sogenannte “Asset Recovery”. Das bedeutet, dass ein Staat das Recht hat, Geld und Wertgegenstände zurückzubekommen, die durch Korruption gestohlen und in ein anderes Land gebracht wurden. 

Das ist deshalb wichtig, weil es um riesige Summen geht, in einzelnen Fällen mitunter um hunderte Millionen Euro. Wenn man diese illegalen Geldströme nachvollziehen kann, ist es auch möglich die Konten, Immobilien oder auch Yachten einzufrieren, sie zu beschlagnahmen und dann zurückzuführen. Das kann einen großen Impact haben, wenn die Gelder eingesetzt werden, um die Lebensumstände der Menschen im Ursprungsland zu verbessern.

Von was für Beträgen reden wir?

Die Schweiz hat in einem einzigen Fall rund eine Milliarde Dollar des früheren Diktators Sani Abacha an Nigeria zurückgeführt. In einem anderen Fall führt die Schweiz derzeit weit über 100 Millionen Dollar an Usbekistan zurück, die die Tochter des früheren Präsidenten ergaunert hatte. Hier geht es um riesige Korruptionsfälle, oft rund um prominente Regierungsmitglieder und deren Familienmitglieder.

„Wenn man diese illegalen Geldströme nachvollziehen kann, ist es auch möglich, die Konten, Immobilien oder auch Yachten einzufrieren, sie zu beschlagnahmen und dann zurückzuführen. Das kann einen großen Impact haben, wenn die Gelder eingesetzt werden, um die Lebensumstände der Menschen im Ursprungsland zu verbessern.“

Mathias Huter, UNCAC Coalition

In der Praxis ist es vor allem schwierig sicherzustellen, dass diese Gelder nicht erneut gestohlen werden. Länder der nördlichen Halbkugel haben ein Interesse daran, sicherzustellen, dass zurückgegebene Gelder nicht erneut gestohlen werden, die Länder des Südens sind meist jedoch kategorisch gegen jegliche Konditionen für eine Rückgabe. Das führt dann auch zwischen den beiden Ländern zu Reibungen.

Nicht alle Staaten werden da ein Interesse haben, solche Gelder wieder zurückzugeben?

Es gibt zwar noch nicht viele Staaten, die sich hier engagieren und Gelder zurückführen. Aber einige Länder wie die USA, Schweiz oder Großbritannien sind hier schon aktiv. Hier braucht es jedoch größere Anstrengungen von mehr Ländern. Zahlreiche Staaten geben gestohlene Gelder nicht zurück, sondern führen sie in den eigenen Haushalt. 

In Österreich ist bislang nicht nachvollziehbar, ob und welche Korruptionsfälle es gab, bei denen Gelder wieder ins Ursprungsland überwiesen worden sind, oder ob hier Gelder ins österreichische Budget fließen. Es geht hier ja um sehr hohe Summen: Wenn man durch Korruption gestohlene Gelder systematisch zurückgeben kann, könnte das einen nachhaltigen Beitrag für die Entwicklung der Ursprungsländer leisten.

Und die Länder zeigen auch den Willen hier etwas zu ändern?

Frankreich ist gerade dabei, die Rückführung von gestohlenen Geldern zu ermöglichen. In den nächsten Wochen werden diese Gesetze geändert, nachdem es mehrere Fälle von korrupten Staatsmännern gab, die enorme Summen nach Frankreich gebracht haben.

In Österreich ist bislang nicht nachvollziehbar, ob und welche Korruptionsfälle es gab, bei denen Gelder wieder ins Ursprungsland überwiesen worden sind, oder ob hier Gelder ins österreichische Budget fließen.

Mathias Huter

Dort dürfen auch gewisse Antikorruptions-NGOs im Interesse der französischen Öffentlichkeit und im Interesse der Bürger:innen der bestohlenen Länder diese Ermittlungen ins Laufen bringen. Diese NGOs haben Ermittlungen gegen einen engen Verwandten des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad oder gegen den Vize-Präsidenten von Äquatorialguinea angestoßen.

In dieser UN-Konvention gibt es bindende und nicht bindende Vorgaben, wie viel haben die Länder denn da schon umgesetzt?

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Kriminalisierung von Korruptionsvergehen schon weit fortgeschritten ist, die internationale Strafverfolgung hinkt jedoch in vielen Ländern hinterher. Bis vor nicht allzu langer Zeit konnte man vielen Ländern, auch in Österreich, Schmiergelder noch von der Steuer absetzen. In Sachen staatlicher Transparenz hat es in den vergangenen Jahren vielerorts Verbesserungen gegeben, aber weitere Nachbesserungen sind nötig um eine effektive öffentliche Kontrolle sicherstellen zu können.

Welche Regelungen sind denn noch unbedingt notwendig?

Ein wichtiger Bereich sind etwa öffentlich Zugängliche Register mit wirtschaftlichen Eigentümer:innen von Firmen und anderen juristischen Personen, die immer mehr Länder einführen. Diese Register zeigen, welche Personen ein Unternehmen oder eine Stiftung wirklich kontrollieren. So soll es schwieriger und eigentlich unmöglich werden, sich hinter anonymen Scheinfirmen verstecken zu können. Solche Scheinfirmen tauchen in fast allen größeren Korruptionsfällen auf. In Österreich haben wir seit dem Vorjahr das “Wirtschaftliche Eigentümerregister“. Frei einsehbar und durchsuchbar ist dieses Register jedoch nicht, was viele Nutzer:innen abschrecken wird.

Register für wirtschaftliche Eigentümer

Register für wirtschaftliche Eigentümer werden in Europa auf Basis der EU-Antigeldwäsche  Richtlinie eingeführt, die verhindern soll, dass sich Personen hinter Briefkastenfirmen und undurchsichtigen Geschäftskonstruktionen verstecken können. Zugänglich ist es für jede:n, es ist aber kostenpflichtig. Drei Euro kostet ein Auszug. Darüber hinaus braucht man entweder eine spezifische Nummer oder den genauen Firmennamen. Nach Personen kann man nicht suchen.

Großbritannien hat sein Register frei zugänglich gemacht. Die britische Regierung schätzt, dass es bis zu drei Milliarden Pfund an volkswirtschaftlichem Gewinn pro Jahr bringt, weil jede:r nachvollziehen kann, mit wem er:sie es geschäftlich zu tun hat. Aber auch die öffentliche Hand erfährt so, an wen sie ihre Aufträge wirklich vergibt und wer hinter beauftragten Firmen steht.

Und sonst?

Wir sehen auch, dass sich der Umgang mit Interessenkonflikten von Entscheidungsträger:innen ändert. Immer mehr Staaten setzen auf bindende Verhaltens-Regeln und verpflichtende jährliche Offenlegungen des Eigentums, von Interessen und Einkommensquellen. Das gilt für gewählte Mandatare ebenso wie für Minister, leitende Beamt:innen und Manager:innen in staatseigenen Unternehmen. Die Offenlegungen werden von einer unabhängigen Stelle kontrolliert und in zahlreichen Ländern drohen falschen Angaben einschneidende Sanktionen, bis hin zu Gefängnis. In einigen Ländern werden diese Offenlegungen auch veröffentlicht, etwa am Balkan und in Osteuropa. Viele junge Demokratien gehen hier deutlich weiter als die westeuropäischen Staaten.

Welche Punkte sind für die UNCAC Coalition ganz entscheidend im Kampf gegen Korruption?

Wir haben eine lange Liste an Forderungen, dazu gehören etwa:

  1. Zugang zu Informationen: Es braucht Informationsfreiheitsgesetze, die auch in der Praxis durchgesetzt werden können.
  2. Transparenz der Firmenbücher und wirtschaftlichen Eigentümer: Hier sollte es freien und öffentlichen Zugang zu Informationen geben.
  3. Whistleblowerschutz: In vielen Ländern kommen Whistleblower, selbst wenn es gesetzliche Regelungen zu ihrem Schutz gibt, in existenzbedrohende Situationen und werden verfolgt.
  4. Transparente Auftragsvergaben: Bei Covid-Maßnahmen haben wir gesehen, dass die Kontrolle von Vergaben nicht funktioniert, wenn diese Aufträge nicht transparent sind – damit meinen wir: für die Öffentlichkeit vollständig einsehbar und nachvollziehbar. Hier gibt es aber riesige Einsparungspotentiale, das wissen wir aus Ländern wie der Slowakei, wo alle Verträge der öffentlichen Hand online veröffentlicht werden müssen.
  5. Asset Recovery: Länder müssten schneller und häufiger aktiv werden, Gelder und Vermögenswerte beschlagnahmen, und sie transparent ins Ursprungsland zurückführen, wo die Gelder den Menschen zu Gute kommen sollten, die unter Korruption leiden. Es muss dabei sichergestellt werden, dass die Gelder nicht erneut gestohlen werden können. 

Eine globale Herausforderung ist die Frage: wie können wir effektiv verhindern, dass sich regierende Eliten durch Korruption bereichern können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Hier beginnt gerade eine Diskussion um die Notwendigkeit eines internationalen Strafgerichtshofs für Korruption.