Der Anlass: Gesetze und Verordnungen müssen in Österreich nachvollziehbar zustande gekommen sein. Wenn das nicht passiert, sind sie verfassungswidrig. Das war auch einer der Gründe, weshalb manche Covid-Verordnungen des Gesundheitsministeriums vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig eingestuft. Das Staatsarchiv sammelt unter anderem die Dokumente, die Ministerien und Behörden erstellen. So kann noch Jahre später nachvollzogen werden, wie Entscheidungen in der Verwaltung entstanden sind.
Hans Peter Lehofer, der Leiter des Evidenzbüros im Verwaltungsgerichtshof, hat ein Problem des Staatsarchives angesprochen – denn nicht alle Dokumente werden dort erfasst.
Lehofer kritisiert auf Twitter, dass SMS und WhatsApp-Nachrichten nicht gespeichert und dem Staatsarchiv übergeben werden müssen. In Großbritannien sei das anders: Dort könnten Bürger:innen nach SMS und E-Mails fragen. Weil britische Regierungsmitglieder sich heute aber Nachrichten schicken, die sich nach einiger Zeit automatisch löschen, klagen jetzt sogar Aktivist:innen.
Warum das wichtig ist: Staatliches Handeln muss nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Wenn eine Regierung ihre Politik über Chats koordiniert, müssten diese Chats archiviert werden. Lehofer vergleicht das mit der Kreisky-Zeit: Bevor es Faxgeräte gab, wurden Telex-Maschinen eingesetzt, mit denen Textnachrichten verschickt werden konnten. Alle Telex-Nachrichten sind im Staatsarchiv gelagert und können von Forscher:innen eingesehen werden. Man wird in Zukunft also mehr aus der Politik der 1970er wissen, als aus der Politik von 2010er. Es würden „einmal schwarze Löcher für die Geschichtswissenschaft“ entstehen, befürchtet Lehofer.
Worum es grundsätzlich geht: Im Archivgesetz sind E-Mails, SMS oder WhatsApp-Nachrichten schlicht nicht erfasst. Das Gesetz ist darauf ausgerichtet Entscheidungen nachvollziehbar zu archivieren. Das Hauptaugenmerk liegt deshalb auf den offiziell angelegten Akten. Chats und E-Mails werden den Akten in den seltensten Fällen beigelegt.
Das ist aber nicht das einzige Problem: Bernhard Bonelli, Kabinettschef von Bundeskanzler Sebastian Kurz, hat im Ibiza-Untersuchungsausschuss angegeben, dass er selbst entscheidet, was dem Staatsarchiv geliefert wird – und was unwiderruflich gelöscht werden darf. Das betrifft auch die Arbeit von “Think Austria”, einem millionenschweren Think-Tank, den sich das Bundeskanzleramt gönnt. Bonelli konnte im U-Ausschuss zum Beispiel nicht mehr rekonstruieren, wie oft er Peter Barthold, einen anderen Befragten des U-Ausschusses, vor dessen Befragung im Bundeskanzleramt getroffen hatte.
Die Aussage zeigt: Kabinetts- und Ministeriumsmitarbeiter:innen können sich jeder Kontrolle entziehen. Sie entscheiden selbst, was der Nachwelt erhalten bleibt und welche E-Mails, Telefonate oder Treffen sie lieber geheim halten würden. Oder eben auch SMS und WhatsApp-Nachrichten, wie Lehofer warnt. Die Verwaltung ist dadurch nicht mehr sinnvoll kontrollierbar, wenn es etwa um Lobbying, Postenbesetzungen oder bilaterale Beziehungen geht.

Akten und offizielle Dokumente müssen dem Gesetz nach an das Staatsarchiv geliefert werden. Dort sind sie 25 Jahre lang versiegelt. Nicht einmal das Staatsarchiv selbst kann die Akten in dieser Zeit einsehen.
Unklar ist, was neben diesen Akten sonst noch archiviert werden muss. E-Mails, Telefonlisten? Treffen von Minister:innen oder Kanzler:innen? Im Staatsarchivgesetz bzw. im Denkmalschutzgesetz ist explizit geregelt, dass persönliche Notizen und Aufzeichnungen nicht archiviert werden müssen. Was persönliche Notizen sind – das ist allerdings Interpretationssache. Selbst amtliche Telefonate müssen nicht dokumentiert werden.
2020 meinte der Generaldirektor des Staatsarchives, Helmut Wohnout, dass SMS nicht archiviert werden müssen. Zuvor wurde bekannt, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz alle SMS mit dem damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache gelöscht hatte. Auch Terminkalender oder Social-Media-Postings müssen nicht archiviert werden.
Was man tun kann: In anderen Ländern ist das ganz genau geregelt. Die Treffen und Termine von EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von Der Leyen sind auf der EU-Kommissionswebseite abrufbar.
In den USA regeln Gesetze explizit, was mit jeder Form der Kommunikation zu geschehen hat. Es werden teilweise sogar Transkripte der Telefongespräche des US-Präsidenten mit anderen Staatschefs veröffentlicht.
In Großbritannien muss jeder Zettel, jede Notiz, die im Zusammenhang mit der Regierungsarbeit erstellt wird, veraktet und später archiviert werden. In Österreich nicht.
Um das zu ändern bräuchte es nicht viel: eine Gesetzesänderung, dass alles im Zusammenhang mit den Staatsgeschäften zu archivieren ist. Mitarbeiter:innen und Minister:innen bekommen für ihre Arbeit eine staatliche Email-Adresse. Private Nachrichten haben auf diesem Account sowieso nichts verloren, ein Ausmisten von persönlichen Nachrichten ist also hinfällig. Selbiges gilt für Diensttelefone bzw. Sim-Karten.