Piraten-Demokratie: Segeln unter schwarzer Flagge mit Verfassung

Das Zusammenleben von Piraten im Goldenen Zeitalter war gekennzeichnet von Grausamkeit, Kampf und Demokratie. Angefangen bei Wahlen und gemeinsamer Verfassung bis hin zur Gleichberechtigung von Frauen und People of Colour waren die Seeräuber Vorreiter ihrer Zeit.

Was haben eigentlich Piraten mit Demokratie zu tun? Captain Jack Sparrow aus „Fluch der Karibik“, Captain Hook aus „Peter Pan“ oder auch Captain Morgan auf der Rumflasche sind Sinnbilder des verwestlichten Bildes des “typischen” Piraten. Mit scharfer Zunge und Säbel regieren sie die sieben Weltmeere und erleben spannende Abenteuer gemeinsam mit ihrer Crew.

Das Kuriose: Piraten haben mehr mit Demokratie zu tun als man glauben möchte.
Anlässlich des internationalen “Talk Like A Pirate Day” am 19. September haben wir die Seeräuber und ihr Zusammenleben genauer unter die Lupe genommen.

Im Goldenen Zeitalter der Piraterie – Mitte/Ende des 17. Jahrhunderts bis Ende des 18. Jahrhunderts – lebten Pirat:innen auf See nach strengen Regeln, die stark an eine demokratische Ordnung erinnern, laut den US-Wissenschaftlern Peter Leeson und Marcus Rediker. Dies ist umso erstaunlicher, da auf dem Festland der Absolutismus herrschte und die Bürger:innen somit der Willkür der Mächtigen ausgeliefert waren.

Pirat:innen dürfen jedoch nicht mit Freibeutern verwechselt werden: Jene unterwarfen sich den Herrscher:innen auf dem Festland, segelten und raubten offiziell in deren Namen. Pirat:innen hingegen flohen vor diesen Herrscher:innen und erlangten Rechte und Freiheit auf der hohen See, was große Anziehungspunkte des Piratentums waren.

Pirat:innen segelten mit Verfassung, einer rule of law und demokratischen Wahlen. Grafik: Majd Madani.

Mit Säbel und Verfassung

Pirat:innen wählten ihren Kapitän demokratisch, der jederzeit abgesetzt werden konnte, sobald er als feige oder autokratisch angesehen wurde. Jedoch: Jener hatte die absolute Befehlsgewalt nur in kritischen Situationen oder Ausnahmefällen wie feindlichen Überraschungsangriffen inne. Alle anderen Entscheidungen wurden mit der Crew diskutiert.

Der heutige Schul- oder Klassensprecher auf einem Piratenschiff war der Quartiersmeister. Er wurde ebenfalls gewählt, brachte die Anliegen der Besatzung vor den Kapitän und kontrollierte diesen gleichzeitig in seiner Machtausübung.

Alle Regeln des Zusammenlebens wurden in der Schiffsklausel, einer Art Verfassung, festgeschrieben, auf die sich die Crew geeinigt hatte und die bei Anheuerung unterzeichnet werden musste. In ihr wurde auch die Beuteaufteilung geregelt, wobei der Kapitän “nur” das Doppelte und der Quartiermeister das Eineinhalbfache bekamen, um Meutereien zu vermeiden. Außerdem legte die Schiffsklausel Entschädigungen für Verletzungen und Verstümmelungen fest.

Das Zusammenleben auf Piratenschiffen bot das Gegenbild zu den königlichen bzw. staatlichen Handelsschiffen, auf denen Aufseher autokratisch und teilweise grausam herrschten. Neben der Aussicht auf Reichtum und Freiheit waren diese demokratischen Strukturen ein großer Anziehungspunkt für Besatzungsmitglieder. Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es rund 2.500 Seeräuber. 

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Gleichberechtigung für alle

Pirat:innen, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe, waren sowohl auf Land, als auch auf Wasser gleichberechtigt, denn sie teilten dasselbe Schicksal: Pirat:innen waren Outlaws – sobald sie an Land erwischt wurden, drohte ihnen der Strick. Das Zusammengehörigkeitsgefühl war somit sehr groß.

Piraten hatten unter ihrer Crew auch People of Colour, die für dieselbe Arbeit den gleichen Lohn bekamen wie ihre weißen Mitstreiter. Es wird vermutet, dass People of Colour bis zu einem Viertel der durchschnittlichen Crew ausmachten. Dies war besonders, da England und die USA damals in der Blütezeit der Sklaverei standen.

Im Goldenen Zeitalter gab es nicht nur männliche Piraten: Mindestens vier anglo-amerikanische Frauen sind bekannt, wovon zwei – Anne Bony und Mary Read – in Kapitän Rackham’s Crew waren, der als Vorbild für die Figur von “Rackham der Rote” aus den „Tim und Struppi“-Abenteuern gilt. Ob diese Frauen jedoch auch wirklich die gleichen Rechte wie Männer hatten, gilt es zu bezweifeln.

Alle Crew-Mitglieder konnten frei ihre Meinung auf dem Schiff äußern. Pirat:innen nahmen, anders als Kriegs- oder Handelsschiffe, selten Sklaven, da jedes Risiko einer möglichen Revolte bzw. die Kosten eines einzelnen Sklaven abgeschätzt werden mussten. Dies soll jedoch nicht heißen, dass Piraten gnädig mit ihren Opfern waren: Betonte Grausamkeit gegenüber Gegner:innen wurde zu Abschreckungszwecken eingesetzt.

Captain Jack Sparrow wurde somit entlarvt: Die Meuterei war in Wirklichkeit gar keine. Der Pirat wurde im Hollywood-Streifen „Fluch der Karibik“ somit eher das Opfer frühzeitiger demokratischer Strukturen: nämlich ganz einfach abgewählt. 

Fun-Facts über Pirat:innen

  • Der durchschnittliche Pirat im Goldenen Zeitalter war 27 Jahre alt.
  • Pirat:innen hatten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und liebten es zu prassen – egal, ob für Frauen, Spiel oder Trank.
  • Sie waren große Musikliebhaber: Oft entführten sie begabte Musiker:innen, um auf ihren langen Reisen unterhalten zu werden.
  • Der Hang zum Dramatischen: Auf ihren Flaggen wurden neben Totenköpfen oft Sanduhren abgebildet, die sowohl für die Vergänglichkeit der Gegner:innen als auch für die eigene standen.
  • Ein Pirat, der zu lange nüchtern blieb, wurde unter Verdacht gestellt, eine gewaltsame Revolte zu planen.
  • Mit der Erhängung des Piratenkapitäns William Fly am 12. Juli 1726 ging das Goldene Zeitalter der Pirat:innen zu Ende.