Mit 17. Dezember 2021 endet für Österreichs Bundesregierung die Frist zur Umsetzung einer EU-Richtlinie. Die Richtlinie würde Whistleblower:innen – Personen, die auf Misstände hinweisen – und deren Angehörige vor negativen Folgen schützen. Die Bundesregierung hatte für die Umsetzung zwei Jahre Zeit und trotzdem verpasst sie die Deadline.
Konsequenzen muss Österreich und seine Regierung dafür keine befürchten. Ganz im Gegensatz zu Whistleblower:innen: denn die bleiben in den meisten Bereichen weiterhin ungeschützt. Sie müssen weiterhin ihre berufliche und private Existenz aufs Spiel setzen, um auf illegales Verhalten oder Fehlentwicklungen hinzuweisen. Es schadet aber auch der Gesellschaft, wenn illegales Verhalten verborgen bleibt und weiter Schaden angerichtet werden kann.
„Am österreichischen Finanz- und Kapitalmarkt sind in Hinweisgeber sehr gut geschützt, dieser gesetzliche Schutz hat sich in den Jahren seit 2014 auch in der Praxis als sehr effektiv erwiesen“, schreibt Fiona Springer von der Finanzmarktaufsicht auf Anfrage. Sie gilt als Whistleblowing-Expertin. „Durch die europäische Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern wird dieser Schutz von Hinweisgebern nun auf andere Anwendungsbereiche ausgerollt und noch klarer geregelt“, so Springer weiter.
Dabei ist die EU-Richtlinie recht grobmaschig:
- Sie soll nur Whistleblower:innen schützen, die Verstöße gegen das EU-Recht aufdecken.
- Firmen sollen dafür Meldesysteme einführen, die garantieren, dass Hinweisgeber:innen anonym bleiben können und keine Angst vor Repressalien haben müssen.
- Es liegt aber an den EU-Mitgliedsstaaten selbst die Richtlinie so umzusetzen, dass sie weiter gefasst wird und nicht nur Verstöße gegen das EU-Recht abdeckt.
- Wenn die Staaten nicht über die EU-Vorgaben hinausgehen, müssten potentielle Hinweisgeber:innen dann selbst wissen, ob der Missstand das EU-Recht verletzt. Denn nur dann wären sie und ihre Angehörigen geschützt.
Uneinigkeit der Koalitionsparteien verzögert
Bei einer Veranstaltung des Instituts für Interne Revision Ende November waren die meisten Compliance- und Whistleblowing-Expert:innen davon überzeugt, dass die Deadline eingehalten werden würde. Einige von ihnen waren als Stakeholder:innen bei Gesprächen zum Gesetz mit eingebunden. Der Vorsitzende des Instituts, Gottfried Berger, ortete „akuten Handlungsbedarf“. Viele Firmen würden gar nicht wissen, dass sie von einem Gesetz verpflichtet werden, ein anonymes Meldesystem einzuführen.
Dabei ist das zuständige Arbeitsministerium bei der Umsetzung schon relativ weit: ResPublica liegt ein ausführlicher 15-seitiger Gesetzesentwurf von Ende Oktober vor. Und in einer parlamentarischen Beantwortung sprach das ÖVP-Ministerium noch davon, dass das Gesetz dem Parlament im Herbst vorgelegt werden kann.
Wieso konnten die letzten Fragen in zwei Monaten trotzdem nicht geklärt werden? Das zuständige Ressort von ÖVP-Minister Martin Kocher verweist auf andauernde Verhandlungen mit dem Koalitionspartner. Welche Punkte noch ausverhandelt werden müssen und welche Position dabei das Ministerium einnimmt, will das Arbeitsministerium nicht sagen.
Auch die Grünen wollen nicht sagen worum es geht. „Wie Sie wissen, befinden wir uns aktuell in Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen zur Richtlinie. Daher kann ich Ihnen zum aktuellen Zeitpunkt leider noch keine ausführliche Informationen zu Ihrer Anfrage geben“, schreibt die Pressestelle der Grünen. Die grüne Verhandlerin Agnes Sirkka-Prammer hat eine ResPublica-Anfrage unbeantwortet gelassen.
Korruptionstatbestände vielleicht ausgenommen
Über den Entwurf von Ende Oktober lässt sich ablesen, welche Punkte noch unklar waren – dabei muss man aber vorsichtig sein, da nicht bekannt ist, ob es schon neuere Entwürfe gibt und darin einige Punkte geklärt. Das Arbeitsministerium gibt zu dem Thema keine Informationen heraus. In diesem Entwurf sticht vor allem der Umgang mit Korruptionstatbeständen ins Auge.
- Ende Oktober war noch offen, ob Korruptionstatbestände wie Bestechlichkeit, Bestechung, Missbrauch der Amtsgewalt oder Vorteilszuwendung mit einbezogen werden. Wenn dies nicht geschieht, wären Whistleblower:innen nicht geschützt, wenn sie solche Korruption melden. ÖVP und Grüne haben Fragen dazu nicht beantwortet.
- Im Entwurf von Oktober ist noch offen, ob anonymen Hinweisen nachgegangen werden muss. „Dieses Bundesgesetz verpflichtet interne und externe Stellen nicht, anonymen Hinweisen nachzugehen. [offen]„
- Die Verhandler:innen wussten Ende Oktober auch noch nicht, wer die Whistleblower-Meldungen in der öffentlichen Verwaltung entgegen nehmen und bearbeiten soll. Es soll scheinbar eine „gemeinsame Stelle für die öffentliche Verwaltung“ geben. Auf so eine Stelle wird in mehreren Teilen des Gesetzesentwurf verwiesen. Nur das Justiz- und Verteidigungsministerium sollen davon ausgenommen werden und eine eigene, gemeinsame Meldestelle einführen.
Kaum Konsequenzen
Mit Konsequenzen muss Österreichs Regierung nicht unmittelbar rechnen. Die EU müsste zuerst ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, davon werden derzeit 76 gegen Österreich geführt.
- In einem ersten Schritt erkundigt sich die EU mit einem Schreiben bei Österreich, wieso die Richtlinie nicht oder nur mangelhaft umgesetzt wurde.
- Erst dann kommt eine Aufforderung die Richtlinie endlich umzusetzen.
- Wenn das nicht passiert, kann die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen. Dort dauert es mehrere Monate bis sich das Gericht damit befassen kann.
- Und erst, wenn sich das EU-Land immer noch weigert die Richtlinie umzusetzen, kann die Kommission noch einmal vor Gericht gehen, das dann finanzielle Sanktionen verhängen kann. Mittlerweile sind Jahre vergangen.