Anfang Juni nahm die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) ihre Arbeit auf. Sie soll ab sofort die finanziellen Interessen der Europäischen Union schützen. Und besser gegen jene vorgehen können, die EU-Gelder veruntreuen. Trotzdem machen nicht alle EU-Mitgliedsstaaten mit und auch sonst gibt es noch das eine oder andere Fragezeichen.
Warum das wichtig ist: Alleine im Jahr 2020 hat das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) knapp 300 Millionen Euro gefunden, die aus dem EU-Budget abgezweigt worden sind. 2019 waren es sogar knapp 500 Millionen Euro. Es geht um illegale Absprachen, Interessenskonflikte, Manipulationen bei Ausschreibungen und Geldwäsche.
Die EUStA soll losgelöst von nationalen Weisungsketten bessere Ergebnisse erzielen, als es Mitgliedstaaten bisher geschafft haben. Solche Straftaten sind „von den nationalen Behörden der Strafjustiz derzeit nicht immer in ausreichendem Maße untersucht und strafrechtlich verfolgt“ worden, wie die EU festhält.
Die EUStA soll ermitteln:
- bei Steuerbetrug, der mehr als 10 Millionen Euro Schaden verursacht hat.
- bei Betrugsdelikten, die die finanziellen Interessen der EU schädigen.
- bei Korruptionsdelikten, die den finanziellen Interessen der EU schaden oder schaden könnten.
- bei einer falschen Verwendung von EU-Fördergeldern durch öffentliche Stellen.
- bei Geldwäsche und organisiertem Verbrechen.
Außerdem soll die Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg besser funktionieren. Beweismittel, die in einem Land erhoben wurden, stehen über die EUStA auch anderen Ländern zur Verfügung. Langwierige, zwischenstaatliche Amtshilfeansuchen könnten so in Zukunft Geschichte sein.
Worum es grundsätzlich geht: „Es geht um eine effektive Verfolgung von Straftaten, die die finanziellen Interessen der Europäischen Union beeinträchtigen“, sagt Robert Kert, Professor und Institutsvorstand für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht auf der WU Wien. Pläne für so eine Staatsanwaltschaft gab es seit Ende der 90er, die rechtlichen Möglichkeiten fehlten aber noch. Der Vertrag von Lissabon hat das 2007 geändert. „Das hat zu einem Vorschlag der Kommission geführt, der nicht die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten erlangt hat“, so Kert.
Deshalb sind auch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten dabei, sondern nur 22 Mitglieder. Jeder Staat hat eine:n Staatsanwält:in in Luxemburg und mindestens zwei Staatsanwält:innen im eigenen Land. Für Österreich arbeitet Ingrid Maschl-Clausen in Luxemburg. Sie war davor bei der WKStA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft). In Österreich wird sie von Claudia Angermaier und Konrad Kmetic unterstützt. Auch die Beiden sitzen bei der WKStA.

Einer der Gründe, weshalb manche Mitgliedsstaaten die EUStA kritisch sehen, ist die Frage der Souveränität: Es gibt auf einmal ermittelnde Staatsanwält:innen, die nur mehr einer europäischen Behörde unterstellt sind. Länder verlieren dadurch Einfluss. „Man muss sich schon bewusst sein, dass die Schaffung dieser Staatsanwaltschaft eigentlich ein großer Schritt für die EU ist, das geht im Moment etwas unter“, sagt Kert. Nämlich ein Schritt zu einem europäischen Strafrechtssystem.
So sieht das auch die FPÖ, die im Justizausschuss als einzige Partei gegen die Einsetzung der EUStA gestimmt hat. Der FPÖ-Abgeordnete Harald Stefan findet es bedenklich, wenn man sich hier einer Staatsanwaltschaft „unterwerfe“, die man nicht beeinflussen könne. Auch er spricht von einer „Untergrabung der Souveränität“ und einem „Bruch in der Systematik der österreichischen Justiz“.
Die EUStA muss mit den fünf Staaten, die nicht mitmachen, jetzt eigens über die Zusammenarbeit verhandeln. Mit Ungarn gibt es schon einen Deal. Für Expert:innen ist das Nichtmitmachen bei der EUStA für Ungarn, Irland, Polen, Schweden und Dänemark trotzdem ein Nachteil: Sie werden den Missbrauch von EU-Geldern nicht so gut ermitteln können.
Gerhard Jarosch, Österreichs Staatsanwalt bei Eurojust und Mitinitiator der Demokratiestiftung sieht das auch so. Gleichzeitig steht er der neuen EU-Behörde kritisch gegenüber. Für ihn sollte eine Staatsanwaltschaft erst nach Gerichten, Strafgesetzen und einer europäischen Strafprozessordnung eingeführt werden. „Auf europäischer Ebene machen wir das jetzt umgekehrt“, so Jarosch.
Die EUStA sieht er als Mindestkompromiss der politischen Ebene. Es fehle aber ein europäisches Gericht und eine europäische Strafprozessordnung. Kert und Jarosch sind sich einig: Das ist eines der größten Probleme. Jedes Land hat eigene Regeln, wie ermittelt werden darf. Das verkompliziert zusätzlich.
Jarosch ortet außerdem einen gewaltigen Verwaltungsaufwand. Grund dafür ist unter anderem das Senatssystem der EUStA, in dem über Fälle beraten wird. Dort sitzen drei Staatsanwält:innen plus die ermittelnden Staatsanwält:innen aus dem betroffenen Land: die einzigen, die die Rechtsvorschriften des Landes kennen.

„Wenn Österreichs Staatsanwältin mit ihrem französischen und bulgarischen Kolleg:innen ein Fall aus Bulgarien behandeln, müssen sie den Akt zuerst zur Gänze ins Deutsche und Französische übersetzen“, so Jarosch. Und weiter: „Das ist einer der Pferdefüße im System.“
Wie Ermittlungen ablaufen: Nehmen wir an, ein Bürgermeister wird im Zuge eines EU-Projektes bestochen und kauft sich mit dem Geld ein Haus. Die EUStA kann wegen Korruption und Geldwäsche zu ermitteln beginnen.
- Die EUStA entscheidet, ob sie die Ermittlungen aufnimmt
- Eine:r der Staatsanwält:innen in den Staaten übernimmt die Ermittlungen
- Er:Sie schlägt vor, ob es zu einer Anklage kommen oder das Verfahren eingestellt werden sollte
- Der Vorschlag wird in Luxemburg in einer Kammer mit drei Mitgliedern plus der Vertretung aus dem betroffenen Staat beraten
- Eine Anklage bearbeiten wieder die schon ermittelnden Staatsanwält:innen vor einem Gericht des Landes
Wie es weiter geht: Schwächen der EUStA werden wohl erst im Laufe ihrer Tätigkeit auftreten. Ein logischer nächster Schritt wäre eine europäische Strafprozessordnung, die einheitliche Regeln für EU-Länder schafft. „Das wird nicht kommen“, glaubt Jarosch. Die EU hat so einen Schritt nicht angekündigt und der Widerstand aus einigen Mitgliedsstaaten wäre groß. „Es wäre zu wünschen, dass es ein europäisches Verfahrensrecht gibt aber da sind die Vorbehalte in den einzelnen Staaten groß“, sagt Kert vom Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht. Das sei derzeit aber reine Zukunftsmusik.