Der Anlass: Die Regierung des konservativen Premierministers Boris Johnson plant eine Verschärfung des „Official Secrets Acts„. Das Gesetz kommt derzeit zum Einsatz, wenn Staatsgeheimnisse verraten werden, die die Sicherheit Großbritanniens gefährden. Eingesetzt wird es vor allem gegen Spion:innen aber schon in der Vergangenheit wurden damit Personen verfolgt und eingeschüchtert, die nichts Gefährliches, sondern nur Peinliches verraten hatten.
Die geplante Änderung würde aber vor allem Whistleblower:innen und Journalist:innen treffen und sie mit Spion:innen gleichsetzen. Sie würde es ihnen schwerer machen sich vor Gericht zu verteidigen und Behörden mehr Möglichkeiten geben, um eine unliebsame Berichterstattung zu verhindern. Die britische Tageszeitung The Guardian nennt es ein „System der Verschwiegenheit ohne Sicherheitsschranke“ und warnt vor einer „neuen Stufe im Aufbau einer autoritären Regierung in Großbritannien“.
Die Änderungen würden dazu führen, dass auf die Veröffentlichung von geheimen Informationen statt zwei Jahren plötzlich 14 Jahre Haft drohen.
Warum das wichtig ist: Whistleblower:innen verraten meist illegale, unethische oder nicht erlaubte Vorgänge innerhalb einer Behörde oder Firma und riskieren damit oft ihre Karriere und wirtschaftliche Existenz.
Sie übernehmen aber eine wichtige Funktion in einer Zivilgesellschaft: Sie machen Informationen zugänglich, die Bürger:innen brauchen, um am demokratischen Prozess teilnehmen zu können. Nur so können sie die Arbeit einer Regierung vor einer Wahl bewerten oder von Missständen erfahren und sich für eine Lösung einsetzen.
Journalist:innen übernehmen die gleiche Aufgabe – nämlich Bürger:innen Informationen zu besorgen, damit diese dann eine fundierte Entscheidung treffen können – riskieren aber weniger. Eine Aufweichung der Gesetze, die Journalist:innen und Whistleblower:innen plötzlich wie ausländische Spion:innen behandelt, wirkt einschüchternd und schadet am Ende auch den Bürger:innen. (Johnsons Regierung spricht immer nur von notwendigen Gesetzen, um gegen ausländische Spionage vorgehen zu können.)
„Um der Bedrohung durch feindliche Nationen zu begegnen,
The Guardian, 29. August 2021
schlägt die Regierung längere Haftstrafen für Journalisten vor.“
Der frühere Guardian-Korrespondent für Sicherheitspolitik Richard Norton-Taylor sagt, dass die Novelle den Unterschied zwischen spionieren und leaken genauso abschaffen würde, wie zwischen Whistleblower:innen und Journalist:innen.
Das Ergebnis: Kommen die Informationen aus gestohlenen Unterlagen, könnten Journalist:innen genauso angeklagt werden, wie jene, die sie gestohlen haben. Ein großes Risiko, denn oft wissen Journalist:innen nicht, wer ihnen Informationen zukommen lässt.
Worum es grundsätzlich geht: Der neue „Official Secrets Act“ von Innenministerin Priti Patel würde das Gesetz in einigen entscheidenden Punkten komplett auf den Kopf stellen. Ein Punkt wäre die Beweislast vor Gericht für die britische Staatsanwaltschaft. Sie würde erheblich verringert werden:
- Derzeit müssen Behörden vor Gericht beweisen, dass die veröffentlichten Geheimnisse eine negative Auswirkung auf die nationale Sicherheit hatten.
- Nach der Novelle würde es reichen, wenn die Information die nationale Sicherheit rein theoretisch gefährden könnte. „Sie könnten aufgrund einer Hypothese ins Gefängnis geschickt werden“, meint Norton-Taylor dazu.
- Ähnlich strenge Gesetze gibt es schon in Australien, Kanada und Neuseeland, es gibt aber einen großen Unterschied: diese Länder haben zwar strenge Gesetze aber auch Mechanismen, die Whistleblower:innen und Journalist:innen schützen. Wenn geleakte Informationen im öffentlichen Interesse sind, greift das Spionage-Gesetz nicht. Großbritannien lasst diesen Mechanismus außen vor. „Stattdessen schlägt die Regierung vor, die abschreckendsten Aspekte […] zu übernehmen und Maßnahmen abzulehnen, die die Rolle des Journalismus in einer Demokratie schützen würden“, schreibt The Guardian.
Auch die Whistleblower:innen-NGOs Whistleblowing International Network und Protect fordern eine Ausnahme für Informationen, die im öffentlichen Interesse liegen und kritisieren darüber hinaus eine Passage, die wirtschaftliche Interessen mit in das Gesetz nehmen würde. Whistleblower:innen könnten auch belangt werden, wenn der Verwaltung aus der Veröffentlichung von unrechtem Verhalten ein finanzieller Schaden entstehen würde. Eine Passage, die laut den NGOs schon greifen könnte, wenn ein:e Wirtschaftsjournalist:in normal berichtet.
Wie es weitergehen könnte: Die öffentliche Begutachtung des Gesetzes ist abgeschlossen. Die Ergebnisse werden derzeit analysiert und das Gesetz möglicherweise entschärft. Britische Medien warnen auch nach Ende der Begutachtungsfrist weiterhin vor den Konsequenzen, die der neue „Official Secrets Act“ auf die demokratischen Grundfesten Großbritanniens hätte.