Geoffrey Cox ist seit sechzehn Jahren Abgeordneter der konservativen Partei von Boris Johnson. Und nebenbei Rechtsanwalt. Aber so viel Aufmerksamkeit wie in den letzten Wochen bekam er noch nie. Dabei war der 61-Jährige schon in der öffentlichkeitswirksamen Rolle als Brexit-Verhandler tätig und unter Theresa May sogar Großbritanniens Generalstaatsanwalt. Und Jahr 2020 attackierte er den Supreme Court sogar so heftig, dass ihn selbst Boris Johnson abberufen musste. Und dennoch: So viel Aufmerksamkeit wie zuletzt bekam er noch nie…
Was ist passiert? Cox ist nicht nur Abgeordneter, sondern nebenbei auch Rechtsanwalt. Und er verdient einen Großteil seines Geldes mit Nebentätigkeiten neben seinem Abgeordneten-Mandat und verstößt dabei gegen viele Compliance-Vorschriften und ungeschriebene Regeln. Damit bringt er auch Premierminister Boris Johnson in Bedrängnis. Medien nennen ihn einen „Teilzeit-Abgeordneten“. Vor allem wegen einer Sache wird er von den eigenen Kolleg:innen attackiert: Cox hat nämlich einen Auftrag für die britischen Jungferninseln.
Der Rechtsanwalt Cox vertritt die Jungerferninseln in einer Korruptions-Untersuchung, die ausgerechnet von Großbritanniens Außenministerium durchgeführt wird – also genauso von jenem Land, in dessen Parlament der Abgeordnete Cox sitzt. Anstatt für seine Wähler:innen zu arbeiten, „sackt er hunderttausende Pfund ein, um dabei zu helfen die Aufklärung von Korruption in einem karibischen Paradies zu stoppen“, kritisiert ihn eine konservative Quelle im Politmagazin Politico.
Cox ist sich bislang keiner Schuld bewusst. Er halte sich an alle Regeln, schreibt er in einem Statement, und arbeite 70 Stunden die Woche, weshalb auch genug Zeit für seine Wähler:innen übrig bleibe.
Die Vorwürfe gegen Cox sind ein Teil des sogenannten „Tory Sleaze Scandals“, der durch eine Anhäufung mehrerer Korruptionsfälle in kurzer Zeit entstanden ist. Sleaze wird in Großbritannien umgangssprachlich für Korruption verwendet.
Warum das wichtig ist: Die Erwartungen an Abgeordnete sind in Großbritannien andere als in Österreich. Von Abgeordneten wird erwartet, dass sie hauptberuflich im Parlament arbeiten. Einerseits, um genug Zeit für die eigenen Wähler:innen zu haben. Andererseits, um nicht den Eindruck von Interessenskonflikten zu erwecken und so das Vertrauen in die Politik zu schädigen.
Beides wird Cox von Medien, der Opposition aber auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen: Wegen seiner vielen Nebentätigkeiten bringe er nicht genug Zeit für seine Wähler:innen auf und verschwende Steuergeld – deshalb Bezeichnungen wie „Teilzeit-Abgeordneter“. Abgeordnete verdienen knapp über 81.000 Pfund (96.000 Euro) jährlich, damit sie genug Zeit haben, die Anliegen ihrer Wähler:innen zu vertreten. Alleine 2021 hat Cox mit seinen Nebentätigkeiten mit einer Million Pfund mehr als das Zehnfache verdient.
Sein Verhalten stellt auch seine Loyalität infrage, da er als Abgeordneter über Gesetze abstimmt, die direkten Einfluss auf seine Mandant:innen haben. Nicht selten nimmt Cox im Parlament dem Vernehmen nach Positionen ein, die im Sinne seiner Mandant:innen wären. Der Verdacht des Lobbyings liegt deshalb für Kritiker:innen nahe. Und Lobbying ist für Abgeordnete in Großbritannien verboten.
Ihm droht wegen den Vorwürfen ein Disziplinarverfahren, das in einer Suspendierung als Abgeordneter enden kann.
Geoffrey Cox ist aber nicht der einzige Korruptionsskandal in Großbritanniens Parlament: schon in den Wochen davor gab es Aufregung um andere Tory-Abgeordnete, die gegen Compliance-Regeln verstoßen hatten. Das alles hat auch dazu geführt, dass im britischen Parlament noch strengere Compliance-Regeln diskutiert werden und sogar ein Verbot für Nebentätigkeiten im Raum steht.
Die Interessenskonflikte und offene Fragen zu Geoffrey Cox‘ wirtschaftlichem Gebaren konnten unter anderem nur deshalb öffentlich werden, weil diese Informationen alle öffentlich einsehbar sind – in Österreich sind die Nebentätigkeiten von Abgeordneten viel undurchsichtiger.
Worum es grundsätzlich geht: Cox, der seit 2005 Abgeordneter ist, wird nicht nur wegen seiner Tätigkeit für die Jungferninseln kritisiert. Kaum war das bekannt, haben sich Medien seine politische Karriere genauer angeschaut. Täglich kamen neue Aspekte zur Erzählung dazu. So wird in den Medien unter anderem moniert:
- 2018 trat er im Parlament gegen strengere Finanzregeln für Steuerparadiese ein. Gleichzeitig verdiente er auf den betroffenen Cayman-Inseln 40.000 Pfund (47.500 Euro).
- Seit seinem Rücktritt als Generalstaatsanwalt hat Cox einen Vertrag mit einer Kanzlei, die ihm für 48 Arbeitsstunden im Monat 468.000 Pfund (556.000 Euro) zahlt. Von anderen Klienten bekommt er monatlich zusätzliche 130.000 Pfund.
- Ende April 2021 fliegt Cox für ein Monat nach Mauritius, während im Parlament über globale Korruption debattiert wird. Er nutzt dafür neue Regeln, die eigentlich für den Lockdown gedacht waren. Nach eigenen Angaben bekam er die Erlaubnis seiner Partei dafür.
- Er nutzt sein Abgeordneten-Büro für seine private Arbeit, ein möglicher Verstoß gegen die Verhaltensregeln des Parlaments, der untersucht wird.
- Während einer Plenarsitzung soll Cox im Hinterzimmer die Jungferninseln in einer Anhörung vertreten haben und nur zur Abstimmung in den Plenarsaal gegangen sein. Ein Video der Online-Anhörung scheint das zu bestätigen. Das sei ein klarer Bruch der Code-of-Conduct-Regeln Großbritanniens, so die Opposition. Abgeordnete sind verpflichtet bei den Sitzungen anwesend zu sein.
- Medien berechnen, dass Cox in seiner Zeit als Abgeordneter geschätzte sechs Millionen Pfund (7,1 Millionen Euro) mit Nebengeschäften verdient hat. Darüber hinaus hat er zwölf Abstimmungen im Parlament verpasst, weil er mit seinen Nebenjobs beschäftigt war und The Mail hat berechnet, dass Cox seit 2009 insgesamt Arbeitsstunden im Ausmaß von drei Jahren gemeldet hat.
- Außerdem kommt ans Licht, dass Cox seine Londoner Privatwohnung für 4.000 Pfund im Monat vermietet, sich deshalb eine andere Wohnung genommen hat und dafür 1.900 Pfund Steuergeld als Kostenzuschuss bekommt. Medien finden 16 weitere Abgeordnete, darunter vier jetzige Minister:innen, die das genauso machen. In fünf Jahren sei so ein Schaden von 1,3 Millionen Pfund entstanden.

Die Vorwürfe gegen Cox kommen für Großbritanniens Premierminister Boris Johnson zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Seine Partei hatte sich gerade schützend vor einen Parlamentarier gestellt, der verbotenerweise gleichzeitig als Lobbyist aufgetreten ist. Ein Verstoß der Verhaltensregeln, der eine einmonatige Suspendierung mit sich bringt. Johnson hatte seine Abgeordneten angewiesen gegen die Suspendierung zu stimmen und die strengen Verhaltensregeln zu lockern. Wochenlange Schlagzeilen zu Verfehlungen von konservativen Abgeordneten – darunter vor allem Geoffrey Cox – haben dann zu einer 180-Grad-Wende Johnsons geführt.
Korruptions-Expert:innen meinen, dass Geoffrey Cox nicht nur ethische, sondern auch rechtliche Grenzen überschritten haben könnte. Sie sehen in den vermehrt aufkommenden Korruptionsskandalen einen Sittenverfall der Johnson-Partei – ein Befund, dem Johnson vehement widerspricht.
In Österreich: ResPublica hat in der Parlamentsdirektion nachgefragt, ob das Verhalten, das in Großbritannien zu einem riesigen Korruptionsskandal geführt hat, für Österreichs Abgeordnete problematisch wäre. Kurz gesagt: nein.
- In Österreich können Abgeordnete keine Zuschüsse zu Wohnkosten verlangen. Sollten Abgeordnete aus Bundesländern für Plenarsitzungen nach Wien anreisen, können sie sich aber Einzelausgaben wie Hotelaufenthalte ersetzen lassen. Das aber nur bei Vorlage eines Belegs. Öffentlich zugänglich sind diese Belege allerdings nicht und auch Anfragen nach dem Auskunftspflichtgesetz würden abgewiesen werden, so die Parlamentsdirektion. Sie begründet das mit einem fehlenden rechtlichen Rahmen und fehlender Judikatur dazu.
- In Österreich gibt es für Nebentätigkeiten so gut wie keine Einschränkungen. Weder zeitmäßig, noch inhaltlich. Die einzige Ausnahme ist Lobbying-Tätigkeiten, die generell verboten sind. Ansonsten kommen Nebentätigkeiten in den Unvereinbarkeitsausschuss und werden dort auf Interessenskonflikte untersucht. Der Unvereinbarkeitsausschuss ist einer der wenigen, dessen Berichte nicht öffentlich gemacht werden.
- Bei der Frage nach Nebeneinkünften entsteht so eine skurrile Situation: Österreichs Bürger:innen können erfahren, dass ein britischer Abgeordneter im Oktober 54.000 Pfund verdient und dem Parlament im August 2020 ein iPad verrechnet hat, aber nicht, wie das bei den eigenen Volksvertreter:innen ausschaut.
Abgeordnete müssen lediglich angeben, wie viel sie im Vorjahr insgesamt dazu verdient haben. Dabei bleibt unklar, wofür genau sie bezahlt worden sind. Die Einkünfte werden in fünf Kategorien eingeordnet, genaue Rückschlüsse sind daraus nicht zu ziehen. So hat der FPÖ-Abgeordnete Gerhard Kaniak z.B. für 2020 leitende Tätigkeiten von acht Firmen, dazu noch zwei Einkommen als Apotheker und Obmann bei vier Vereinen. Eingenommen hat er damit nach eigenen Angaben monatlich über 10.000 Euro.
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- Büros werden von der Parlamentsdirektion an die Klubs und nicht an die Abgeordneten vergeben. Es liegt also an den Parteien, was sie ihren Abgeordneten erlauben. Auch hier gibt es für die Öffentlichkeit keinen Weg herauszufinden, ob ein mit Steuergeld finanziertes Büro für private Tätigkeiten zweckentfremdet wird.
- Die Anwesenheit bei Plenarsitzungen ist für Abgeordnete verpflichtend. Wenn sie fehlen, müssen sie dies bekannt geben und begründen. Am Anfang einer Sitzung wird vorgelesen, welche Abgeordneten sich entschuldigt haben. Man sehe dann ohnehin, wer darüber hinaus fehlt und wer nicht, so die Direktion. Wer bei Abstimmungen anwesend ist und wer nicht, wird übrigens nicht dokumentiert. Für Abgeordnete gar nicht so unpraktisch: So können sie einer Abstimmung fernbleiben, um nicht gegen die eigene Partei zu stimmen.