In seiner Rede beim Fest des Linzer Brucknerhauses sieht der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer Bedrohungen für unsere Demokratie. Der Standard hat die Rede in einer gekürzten Fassung veröffentlicht.
1. Die Demokratie leben und lieben
„Die Demokratie muss auch gewollt und gelebt werden, um allen Belastungen standhalten zu können.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Eine gute Verfassung sei „eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für eine stabile, funktionierende Demokratie“, so der österreichische Bundespräsident von 2004 bis 2012. Österreichs Vergangenheit habe gezeigt, was passieren kann, wenn das politische System nur toleriert wird: es wird nicht verteidigt, wenn es darauf ankommt.
„Im konkreten Fall der Ersten Republik wurde zwar auf breitester Basis eine kluge und durchdachte Verfassung beschlossen, aber sie begann bald an Wirksamkeit zu verlieren; weil sie in wachsendem Maße nicht gelebt und nicht geliebt wurde. Und weil ein wachsender politischer Fanatismus zur Einhaltung demokratischer Spielregeln immer weniger bereit war, bis schließlich ein antidemokratisches Hochwasser alle Verfassungsdämme überschwemmte.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Fischer erwähnt auch das Ende der ersten Republik. Damals war es ein „wachsender politischer Fanatismus“, der von Österreichs Verfassung nicht eingedämmt werden konnte. 1933 nutzte der christlichsoziale Engelbert Dollfuß zuerst ein Gesetz, um ohne das Parlament zu regieren und verhinderte danach die Bildung eines neuen Nationalrates. Die Folge war der Austrofaschismus.
Ähnliches passierte fast zeitgleich in Deutschland: Dort ging die Weimarer Republik zugrunde, weil der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg – völlig legal – das Parlament aussetzte und mit einem eigenen „Präsidialkabinett“ regierte. Obwohl das alles gesetzlich erlaubt war, erschütterten von Hindenburg und seine Präsidialkabinette das System so sehr, dass es 1933 von Adolf Hitler und der NSDAP übernommen werden konnte.
2. Demokratie bedeutet Arbeit
„[D]ie beiden Antipoden, nämlich Demokratie und Diktatur, sind beide von Menschen gemacht und auch von Menschen zerstörbar. Auch die härteste Diktatur ist – wie die Geschichte zeigt – nicht unzerstörbar. Das gilt aber auch für die Demokratie: Sie ist belastbar, sogar sehr belastbar, aber nicht unzerstörbar. Es ist daher eine Sisyphusaufgabe für alle Demokraten sowie eine nie endende Herausforderung, die belastbare, aber nicht unbegrenzt belastbare Demokratie von den Grenzen ihrer Belastbarkeit fernzuhalten. Daran muss jeden Tag gearbeitet werden.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Politische Systeme werden von Menschen erdacht, gebaut und können von Menschen auch zerstört werden. Für Fischer ist die Arbeit für unsere Demokratie eine Sisyphusaufgabe, die nie enden darf. Schon um den Status Quo beizubehalten, müssen wir arbeiten und uns darauf zurückbesinnen auf die demokratische Grundidee. Denn im politischen Alltag werden immer wieder Grenzen verschoben, die sich negativ auf unser demokratisches System auswirken können.
3. Demokratie und Menschenrechte gehen Hand in Hand
„Wenn man der Überzeugung ist, dass alle Menschen gleich an Rechten und Würde geboren sind, dann muss man konsequenterweise auch für ein politisches System eintreten, in dem dieser Grundsatz zur Geltung kommt: also ein System, in dem alle Menschen Chancengleichheit vorfinden, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung beteiligt sind und ihre Menschenwürde von der Geburt bis zum Tod geschützt ist.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Fischer zieht eine Parallele zwischen Demokratie und Menschenrechten: Die Geschichte habe gezeigt, dass es chronologische und inhaltliche Parallelen gebe und man als Demokrat:in deshalb auch für Menschenrechte eintreten müsse. In weiterer Folge spricht er sich für die Rettung besonders gefährdeter Gruppen aus Afghanistan aus und kritisiert die Argumentation der ÖVP-Regierungsspitze, man könne „ja nicht alle Menschen retten“.
4. Nur geteilte Macht ist gute Macht
„Macht ist bekanntlich die Fähigkeit, seinen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen; aber Macht hat die Tendenz zur Akkumulation und Anhäufung weiterer Macht. Daher gehören institutionelle Vorkehrungen zur Legitimation der Macht, zur Begrenzung der Macht, zur Teilung der Macht, zur Kontrolle der Macht und zur Befristung der Macht zu den wesentlichen Bausteinen eines demokratischen Systems.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Der Mensch habe die Tendenz Macht anzuhäufen, so Fischer. Für ein ausgeglichenes System brauche es daher Vorkehrungen, damit sich Einzelne nicht zu viel Macht sichern können. Fischer spricht von Wahlen, der Verfassung, der Gewaltentrennung, dem Parlament und der Rechtsstaatlichkeit.
„Und wer den Rechtsstaat gefährdet, gefährdet auch die Demokratie.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Besonders der Rechtsstaat sei derzeit unter Druck Einiger, die die eigene Macht ausbauen wollen, so Fischer. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz seien oft erst die ersten Schritte und einige EU-Mitgliedsstaaten hätten ihren Rechtsstaat schon so beschädigt, dass heutige EU-Aufnahmekriterien gar nicht mehr erfüllen würden.
„[D]ie Trennlinie zwischen sachlicher Kritik an einer konkreten Entscheidung der Justiz einerseits und der Ausübung von politischem Druck auf Organe der Justiz, um diese in eine bestimmte Richtung zu drängen, andererseits muss glasklar gezogen und auch eingehalten werden. Aber sie wird nicht immer eingehalten.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
In weiterer Folge spricht Fischer auch die ÖVP-Attacken gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an, die derzeit gegen mehrere Politiker:innen der Volkspartei ermitteln muss. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer hat die Staatsanwaltschaft in einem Interview als Teil einer „vereinigten Opposition“ bezeichnet. Für Fischer inakzeptabel.
„Sie wird vorbeugend zum Instrument und zum Vollzugsorgan der Opposition gemacht, was meines Erachtens genauso unakzeptabel ist wie im Falle einer Einstellung des Verfahrens die Staatsanwaltschaft zum Instrument der Regierung zu machen.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
5. Für Erfolg keine Grenzen ausloten
„[E]s muss uns klar sein, dass auch das, was wir „politische Kultur“ nennen – einschließlich des Einhaltens bewährter ungeschriebener Regeln –, für das reibungslose Funktionieren des demokratischen Prozesses von Bedeutung ist. Dazu gehört die Einsicht, dass nicht alles, was in einer Demokratie nicht ausdrücklich verboten ist, automatisch zum Bereich des ungeniert Machbaren und Akzeptablen gehört.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Die ungeschriebenen Regeln gehören ebenso zum demokratischen Prozess, wie gesetzliche Rahmenbedingungen. Der frühere Bundespräsident mahnt deshalb ein, dass man nicht alles machen darf, was nicht ausdrücklich verboten ist. Ungeschriebene Regeln – im englischen „democratic guardrails“ genannt – sind ein wichtiger Teil im Umgang zwischen Parteien, Institutionen und Behörden. Wenn es hier immer wieder zu Brüchen kommt, verlieren politische Vertreter:innen und Entscheidungsträger:innen zunehmend das Vertrauen zueinander und den Willen zusammenzuarbeiten. Es kann ein „wir gegen sie“-Denken entstehen, der unser System schwächt und anfällig macht.
„Faktum ist jedenfalls, dass wir alle gemeinsam Verantwortung dafür tragen, dass unsere Demokratie stabil bleibt und die Grenzen der Belastbarkeit der Demokratie nicht überschritten werden.“
Heinz Fischer, 12.9.2021 – internationales Brucknerfest 2021
Er sieht auch noch Luft nach oben, was Demokratie und Rechtsstaat in Österreich angeht und weist auf das Rechtsstaatlichkeitsvolksbegehren hin, denn es sei die Verantwortung aller, „dass unsere Demokratie stabil bleibt und die Grenzen der Belastbarkeit der Demokratie nicht überschritten werden“.