EDAP: Der EU-Plan gegen Desinformation

Die Europäische Kommission arbeitet weiter an ihrem European Democracy Action Plan (EDAP). Nach ersten Ankündigungen im Dezember, ist jetzt der erste konkrete Vorschlag da: eine Richtlinie, die vor Falschinformationen schützen soll.

Der Anlass: Die Europäische Kommission hat am 2. Dezember 2020 den European Democracy Action Plan vorgestellt. Der soll dabei helfen Wahlen zu sichern, Medien zu stärken und Desinformation bekämpfen zu können. Der Demokratieforscher Michael Hunklinger hat schon Ende März gesagt, dass der Plan zwar interessant klinge, man aber erst konkrete Vorschläge abwarten müsse. Jetzt hat die Europäische Kommission einen 25-seitigen Plan vorgestellt, wie Desinformationskampagnen bekämpft werden sollen.

Warum das wichtig ist: Desinformation ist zu einer wichtigen Waffe geworden. Solche Strategien und Kampagnen beeinflussen Wahlen, steuern Diskurse in eine gezielte Richtung und können sogar Menschen gefährden. Die EU musste 2015 ein eigenes Team ins Leben rufen, nur um russische Desinformationskampagnen zu bekämpfen. In den ersten fünf Monaten von 2021 hat EUvsDisinfo.eu knapp 1.500 Desinformationen gefunden, die über unterschiedliche Kanäle in verschiedenen Ländern verbreitet worden sind.

Ein freiwilliger „Verhaltenskodex gegen Desinformation“ für Unternehmen soll jetzt helfen.

Worum es grundsätzlich geht: Seit 2018 gibt es einen europäischen „Verhaltenskodex gegen Desinformation“ (Code of Practice), der jetzt evaluiert wurde. Das Ergebnis der Evaluation: „Die Verpflichtungen des jetzigen Verhaltenskodexes sind nicht ausreichend effektiv, um eine Antwort auf das Phänomen Desinformation zu liefern.“

Die EU versucht Desinformationen zu bekämpfen. Das Dilemma dabei: Da die Falschinformation zwar von politischen Playern bewusst gestreut werden, aber dann natürlich von Bürger:innen – oft arglos, manchmal sogar in gutem Glauben –  über Social Media weiterverbreitet werden, steht man vor einem Problem, müsste man ja eigentlich die Bürger:innen fürs Weiterverbreiten strafen (als Täter), obwohl sie ja selbst der Falschinfo aufsitzen (als Opfer). Genau das will die EU eben nicht; darum versucht man Falschinfos zu bekämpfen ohne „zu kriminalisieren oder zu verbieten“, wie sie sagt.

Darum soll die Strategie stattdessen zu mehr Transparenz führen, Bürger:innen ermächtigen und eine demokratische Debatte ermöglichen. In ihren Vorschlägen für einen besseren Verhaltenskodex verweist die Europäische Kommission dabei auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Das zeigt den Fokus der EU: Sie möchte nicht gegen Bürger:innen vorgehen müssen, wenn diese Falschnachrichten teilen, sondern die Verbreitung auf den Social-Media-Plattformen verhindern. Darum werden Unternehmen in die Pflicht genommen, die Social-Media-Plattformen betreiben, ein Auge darauf zu haben.

Den Kampf gegen Falschinformationen sollen Unternehmen führen. Foto: Tim Reckmann (CC BY-NC 2.0) | Bearbeitung: ResPublica

Das größte Problem der Verhaltensregeln bis jetzt war, dass man mit Desinformationen immer noch problemlos Geld verdienen konnte. Der Disinformation Index schätzt, dass Webseiten, die gezielt falsche Informationen verbreiten, alleine in Europa jährlich rund 62 Millionen Euro über Werbeplätze verdienen. (Die Schätzung stammt vom März 2020; die Pandemie könnte diese Zahlen sogar noch erhöht haben.)

Dazu kommt, dass die Social Media Unternehmen die Richtlinien unterschiedlich anwenden. Es gibt bis dato keine Stelle, die überhaupt überprüft, ob Unternehmen auch tun, was sie sagen; darüber hinaus weiß man bereits, dass die Fact-Checker dort schon jetzt mit ihrer Arbeit nicht nachkommen. Falschmeldungen, die auf einer Plattform entfernt wurden, tauchten auf einer anderen sofort wieder auf. Was fehlt ist ein zentrales System, mit dem Fact-Checker besser zusammenarbeiten können.

Um die Probleme auszumerzen und sinnvoll gegen Desinformationen vorzugehen, soll jetzt der Verhaltenskodex erweitert werden. Die 25 Seiten sind ein Vorschlag der Europäischen Kommission, die dafür auch schon mehrere Treffen mit den Stakeholdern gemacht hat. Die neuen Ziele des Verhaltenskodexes sehen so aus:

  • Die Zahl der sich selbst verpflichtenden Unternehmen soll erhöht werden. Schon jetzt dabei sind große Firmen wie Google, Facebook, Twitter, Microsoft, TikTok, Mozilla oder der Europäische Verband der Kommunikationsagenturen. Der Liste sollen sich noch mehr Unternehmen anschließen, darunter auch solche, die an sich kaum Berührungspunkte mit Desinformationen haben. Anbieter von Werbeplatz-Verwaltungsprogrammen oder E-Commerce-Firmen, deren Dienste solche Seiten nutzen. Dafür sollen die Verpflichtungen der Verhaltensregeln an die verschiedenen Branchen angepasst werden können, ohne Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich von notwendigen Maßnahmen zurückzuziehen.
  • Mit Desinformation soll kein Geld mehr verdient werden können. Plattformen wie YouTube oder Facebook sollen eingebrachte Werbekampagnen in Zukunft besser prüfen und Accounts ausschließen, die systematisch Desinformationen verbreiten. In diesem Zusammenhang soll es zu mehr Kooperationen zwischen Plattformen und Zuliefer-Firmen kommen, die Werbeplätze kaufen, verkaufen oder befüllen. So könnte Google etwa Facebook warnen, wenn jemand eine Desinformationskampagne bei ihnen starten wollte – und Facebook in Folge gezielt nach einer ähnlichen Kampagne suchen.
  • Politische Werbung soll eingeschränkt und besser gekennzeichnet werden. So sollen politische Inhalte auch gekennzeichnet bleiben, wenn sie von User:innen selbst verbreitet werden. Weiters soll immer klar sein, wer der Absender einer Botschaft ist. Die Europäische Kommission sieht bei manchen Kampagnen sogar das Recht der Bürger:innen auf Zugang zu Informationen verletzt: Beim sogenannten „Micro-Targeting“ werden Inhalte nur Personen angezeigt, die ganz bestimmte Merkmale aufweisen. Merkmale, die Unternehmen durchs Sammeln und Zukaufen von persönlichen Informationen haben. Solche Inhalte sind zum Einen schwer zu überprüfen und zum Anderen erfährt ein Großteil der Wähler:innen nicht, was Parteien einzelnen Gruppen verspricht. Das soll sich in Zukunft ändern.
  • Nutzer:innen sollen bessere Werkzeuge bekommen, um mit falschen Informationen umgehen zu können. Dazu gehört die Möglichkeit Falschinformationen zu melden und gesicherte Informationen anzuzeigen. Das soll, wenn es nach der Europäischen Kommission geht, in Zukunft auch bei Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Telegram passieren. Google und Facebook zeigen schon bei Suchanfragen und Postings zu Covid-19 Links zur zuverlässigen Quellen an. User:innen, die mit Desinformationskampagnen in Berührung kommen, sollen darüber informiert werden. Gleichzeitig sollen Accounts, die sie verbreiten gesperrt werden. Die neuen Leitlinien sehen dafür eine eigene Instanz vor, bei denen sich diese Account-Betreiber:innen beschweren können.
  • Fact-Checker sollen vermehrt zusammenarbeiten und Wissenschaftler:innen Daten bekommen. Die Faktenprüfung soll ausgebaut werden, damit alle EU-Länder und Sprachen abgedeckt sind. Dazu kommt eine engere Zusammenarbeit. Unternehmen arbeiten derzeit vor allem mit externen Fact-Checkern zusammen. Im deutschsprachigen Raum macht das die deutsche Rechercheplattform Correctiv. Das führt aber zu vielen verschiedenen Playern. Facebook alleine arbeitet mit 35 unterschiedlichen Firmen zusammen. Hier soll über Firmengrenzen hinweg zusammengearbeitet werden. Zusätzlich soll auch die Forschung Zugang zu Daten bekommen, um Desinformation erforschen, Trends erkennen und Gegenstrategien entwickeln zu können.
  • Die Verhaltensregeln sollen überprüft und Unternehmen verantwortlich gehalten werden. Obwohl Unternehmen dem Verhaltenskodex freiwillig beitreten, soll es für sie bei Nichterfüllung ihrer Pflichten auch zu rechtlichen Konsequenzen kommen. Die müssen allerdings erst entwickelt werden.
  • Für die Einführung sollen ein „Transparenzzentrum“ und eine Taskforce kommen. In dem „Transparenzzentrum“ sollen Digital Unternehmen zeigen, wie sie die Vorgaben umsetzen. Eine Taskforce, die die Europäische Kommission selbst leiten möchte, soll den Kodex immer weiterentwickeln.

Das sagt Facebook: Ein Sprecher von Facebook sagt zu ResPublica gesagt, dass das Unternehmen den Plan begrüße. Der Code of Practice habe im Kampf gegen Covid-19-Desinformationen gut funktioniert und man werde weiterhin mit Regulatoren und anderen Plattformen zusammenarbeiten. Weiters verweist Facebook auf externe Fact-Checker-Teams und auf Pläne in Zukunft Daten mit Wissenschaftler:innen teilen zu wollen. An einem entsprechenden Code of Conduct werde bereits gearbeitet. Welche Probleme es in der Umsetzung geben könnte und womit das Unternehmen nicht zufrieden ist, hat der Pressesprecher nicht beantwortet.

Das ist durchaus interessant: Der Kommissionsplan wird wohl Mehrkosten mit sich bringen: Es ist die Rede von neuen Funktionen und Übersichten für Nutzer:innen, die erst entwickelt und programmiert werden müssen. An einer Stelle des Dokuments steht, dass „Unterzeichnende in die Untersuchung und Entwicklung von Produkten und Designs investieren sollten, die bei ihren Usern sowohl kritisches Denken als auch eine verantwortungsvolle und sichere Verwendung ihrer Leistungen“ fordern sollen.

Das sagt das European External Action Service: Das Team von EUvsDisinfo.eu gehört zum European External Action Service (EEAS), das für diplomatische Beziehungen und Sicherheit zuständig ist und Teil der Taskforce werden soll. Wir wollten vom EEAS wissen, ob die Vorschläge der Europäischen Kommission im Kampf gegen Desinformation wirklich helfen könnten. Peter Stano, ein Sprecher von EEAS, sagt, es „unterstützt die neuen Richtlinien“ und dass es bei der Weiterentwicklung selbst mitgearbeitet hat.

Stano erwähnt auch die komplexen Anforderungen im Kampf gegen Desinformation: „Dieser Kampf findet auf verschiedenen Ebenen statt – finden, entlarven, aufdecken, strategische Kommunikation, internationale Zusammenarbeit, Medienunterstützung, Sensibilisierung, Erhöhung der Medien- und Informationskompetenz der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten und darüber hinaus.“

Wie es weiter geht: Die EU-Kommission hat angekündigt, Treffen mit den Mitgliedern des gültigen Verhaltenskodexes zu organisieren. Gleichzeitig will sie noch mehr Unternehmen zum Mitmachen bewegen. Ein Entwurf der überarbeiteten Regeln soll im Herbst vorliegen. Die Kommission will 2021 noch einen Vorschlag für eine bessere Kennzeichnung bei politischen Werbungen erarbeiten.