Die Affäre rund um Ministeriumsaufträge an die Meinungsforscherinnen Sophie Karmasin und Sabine Beinschab haben den Fokus der Öffentlichkeit einmal mehr auf Direktvergaben gelegt. Die erlauben es der öffentlichen Hand Aufträge bis zu 100.000 Euro direkt an Unternehmen zu vergeben. Einschränkungen gibt es dabei kaum – selbst Vergleichsangebote sind für den Gesetzgeber kein Muss. Nur eine Veröffentlichung der Metadaten ab 50.000 Euro ist vorgesehen.
Eine parlamentarische Anfragenserie des FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker zeigt, dass Karmasin und Beinschab von mehreren Ministerien in den letzten acht Jahren insgesamt 599.999 Euro bekommen haben sollen. Aus den Anfragebeantwortungen geht nicht hervor, wie viele dieser Aufträge direkt vergeben worden sind, es liegen aber alle unter 100.000 Euro.
In einer ähnlichen Anfragenserie in Niederösterreich findet René Pfister (SPÖ) 338.166 Euro, die von ÖVP-Landesrät:innen an Karmasin oder ihre Firma gingen.
Gegen Karmasin wird unter anderem ermittelt, weil sie bei ihrer Angebotslegung gleich selbst Vergleichsangebote an das Ministerium mitgeschickt haben soll. Gegen sie und Beinschab ermittelt derzeit die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft als Beschuldigte. Es stehen Vorwürfe der Geldwäsche und Preisabsprache im Raum. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.
100.000 Euro (fast) ohne Regeln
Der Fall wirft mehrere Fragen auf: Wieso lässt sich ein Ministerium von einer Person Vergleichsangebote einholen, die selbst ein Angebot für den Auftrag gelegt hat? Könnte auch das Ministerium gegen Gesetze oder interne Vorschriften verstoßen haben? Und wie sinnvoll ist ein Gesetz, das so etwas möglich macht?
Ministerien, Länder und Gemeinden können dank hoher Schwellenwerte viel Geld direkt vergeben, ohne jemanden darüber zu informieren. Das macht ein provisorisches Mittel gegen die Weltwirtschaftskrise 2009 seit dreizehn Jahren möglich. Das System erlaubt darüber hinaus viel Spielraum und wenig Einblick – eine Situation, die leicht ausgenutzt werden kann.
„Wenn es bei einer Direktvergabe einen Aktenvermerk und Vergleichsangebote gibt, dann küssen Sie den Mitarbeitern die Füße, das ist vorbildlich.“
Alexandra Terzaki, Vergabeexpertin
Wer wissen möchte, wie Direktvergaben ablaufen, stößt schnell an Grenzen, denn das Bundesvergabegesetz gibt der öffentlichen Hand kaum Regeln vor. Ab 100.000 Euro muss national ausgeschrieben werden, ab 215.000 Euro – und Ministerien ab 140.000 Euro – sogar europaweit. Davor ist vieles möglich: Aufträge bis 50.000 Euro müssen nicht einmal bekannt gegeben werden, ab 50.000 Euro sollten nachträglich Metadaten ins Open-Data-Portal der Republik eingetragen werden.
Echte Kontrollsysteme gibt es keine. Länder und Ministerien müssten sich selbst Regeln geben. Die interne Revision des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, das in der Causa Karmasin involviert ist, prüfte die Auftragsvergaben. Es stellte fest, dass interne Vorgaben nicht eingehalten worden sind. Die Aufträge wurden weder dem Generalsekretariat zur Freigabe vorgelegt noch wurden die Metadaten ins Open-Data-Portal eingetragen.
„Wenn es bei einer Direktvergabe einen Aktenvermerk und Vergleichsangebote gibt, dann küssen Sie den Mitarbeitern die Füße, das ist vorbildlich“, meint Alexandra Terzaki im Gespräch mit ResPublica über Mindeststandards. Die gebürtige Griechin ist Vergabeberaterin, hat Büros in Wien und Berlin und berät die öffentliche Hand. Auch das Sportministerium, wenn auch nicht in der Causa Karmasin.
Komplizierte Berechnungen
„Man muss sich fragen, wieso die Direktvergabe in Österreich so geregelt ist, und nicht, weshalb sie von Beamt:innen richtig angewendet wird“, meint Terzaki. Sie sieht die Beamt:innen (und Vertragsbedienstete) in ein falsches Licht gerückt: “ Im Rahmen meiner Beratung treffe ich engagierte und gute Leute, die im System für Transparenz sorgen. Sie arbeiten für die Sache, oft auch am Wochenende und wollen es richtig und gut machen.“
Und das ist gar nicht so einfach: So einfach man Aufträge über Direktvergaben vergeben kann, so schwer ist es bei größeren Projekten einzuschätzen, ob sie das überhaupt dürfen. Alles hängt von der Berechnung des Auftragswertes ab. Beamt:innen müssen vor einer Vergabe wissen, ob sie das gesamte Projekt vergeben oder einzelne Teile des Projektes. Je nachdem kann ein Projekt aus einem 100.000-Euro-Auftrag bestehen oder aus mehreren:

- Links bekommt ein:e Auftragnehmer:in den Zuschlag und kann selbst Sub-Unternehmen beauftragen, um den Auftrag zu erfüllen. Der Gesamtwert darf für eine Direktvergabe 100.000 Euro nicht überschreiten.
- Rechts wird das Projekt zu Beginn in einzelne Aspekte aufgeteilt und an Firmen vergeben. Hier gilt plötzlich für jeden Teilauftrag die Obergrenze von 100.000 Euro. Das geht aber nur, wenn die Leistungen nicht zusammengehören. Sonst ist es eine unzulässige Scheintrennung.
Zusammengefasst: Die zuständigen Beamt:innen tragen die Verantwortung für die richtige Vergabe. Dafür müssen sie in vielen Bereichen genau wissen, was gebraucht wird – und wie viel so etwas kosten sollte.
Das Wirtschaftsministerium gibt in seiner Anfragebeantwortung an, dass Karmasin für ein neues Leitbild gleich vier Aufträge bekommen hat: Insgesamt hat sie so 125.920 Euro bekommen, die vier Aufträge lagen aber immer unter der 100.000-Euro-Schwelle. So musste nicht ausgeschrieben werden.
Eine Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise 2009
Bis 2009 lag die Grenze für Direktvergaben bei 40.000 Euro. Dann kam die Weltwirtschaftskrise und Österreichs Regierung setzte den Grenzwert auf 100.000 Euro, um entgegenzuwirken. Argumentiert wurde damals wie heute mit kleinen Gemeinden, die schnell und ohne viel Aufwand Aufträge vergeben können sollten.
Und als die Krise vorbei war, wurde die provisorisch eingerichtete 100.000-Euro-Grenze einfach jährlich verlängert. Das Justizministerium verweist in einer ResPublica-Anfrage auf schnellere Vergaben und rechtfertigt die hohe Grenze mit der Pandemie, die „die rasche Realisierung investitions- und beschäftigungswirksamer Maßnahmen weiterhin erforderlich“ mache. Ob es dafür wirklich die Obergrenze von 100.000 Euro braucht oder ob die ursprüngliche 40.000-Euro-Grenze nicht doch gereicht hätte, ist unklar. Nicht einmal der Österreichische Gemeindebund, Interessensvertretung der Gemeinden und Partner der Plattform OffenerHaushalt.at, hat Daten darüber, wie hoch der durchschnittliche Auftrag einer Gemeinde ist – und wie viel Gemeinden über Direktvergaben beauftragen.
So viel schneller würden Aufträge auch gar nicht vergeben werden können, meint Terzaki. Eine Direktvergabe würde auch an die vier Wochen dauern, zu anderen Vergabetypen sei da nicht mehr viel Unterschied. Denn die Beamt:innen müssen trotzdem klar ausarbeiten, was sie genau brauchen, um dann die Kosten zu berechnen.
1.000-Euro-Grenze für Direktvergaben in Deutschland
In Deutschland laufen Direktvergaben ganz anders: Dort darf nur bis 1.000 Euro direkt vergeben werden, danach wird ausgeschrieben. Und selbst hier steht in der deutschen Verordnung, dass „zwischen beauftragten Unternehmen“ gewechselt werden sollte. Zur Erinnerung: Die österreichischen Bundesregierungen meinen seit 2009, dass die Grenze von 40.000 Euro nicht ausreichend war.
„Die rechtliche Lage in Deutschland kann man nicht so einfach mit Österreich vergleichen“, meint Claudia Fuchs, Vergabeexpertin auf der Johann Kepler Universität in Linz. Sie verweist auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, die sich zuerst theoretisch anhören: Die deutsche Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) stehe außerhalb des Vergabegesetzes, könne deshalb nicht unmittelbar mit Österreich verglichen werden.
Die praktische Auswirkung liegt im Rechtsschutz: In Österreich sei es viel einfacher gegen Direktvergaben vorzugehen, weil alle Mitbewerber:innen einen Feststellungsantrag stellen können, wenn sie nicht gefragt wurden. Im schlimmsten Fall muss das ganze Verfahren rückabgewickelt werden. In Deutschland gehe das nicht, so Fuchs. „Die Deutschen blicken da schon auch neidisch nach Österreich, weil der Rechtsstaat hier weiter ausgebaut ist.“
Expert:innen bei Reform nicht involviert
Die türkis-grüne Regierung will das erst 2018 reformierte Bundesvergabegesetz noch einmal reformieren. An einem Entwurf soll im Justizministerium derzeit gearbeitet werden – ohne Einbindung von Expert:innen, wie Terzaki kritisiert. Auch Fuchs, die das Standardwerk für Vergaberecht mitgeschrieben hat, wurde noch nicht kontaktiert.
Ob und mit wem das Ministerium schon gesprochen hat, wollte es auf ResPublica-Anfrage zuerst nicht sagen. Erst auf Nachfrage machte das Ministerium transparent, dass es mit einigen Bundesländern, dem Wirtschafts-, Finanz- und Innenministerium, dem Gemeinde- und Städtebund gesprochen hat. Stakeholder, so das Ministerium, würden erst im Begutachtungsverfahren eingebunden werden.
Als Zeitrahmen für einen Gesetzesentwurf verweist Sprecherin Sina Bründler nur auf die laufende Gesetzgebungsperiode. Die Frage, ob die Schwellenwerte so hoch bleiben, lässt das Ministerium unbeantwortet.