Der Historiker Stefan Esders definiert einen Eid als eine „Anrufung einer Gottheit zur Unterstützung des eigenen Versprechens oder einer Aussage“. Eide haben eine lange Tradition und sind in den verschiedensten Kulturen und Religionen in Verwendung. Je nach Ort und Zeit – aber vor allem je nach Machtinhaber – veränderten sich die Eide.
Der Unterschied zwischen Eid und Gelöbnis? Ersteres ist ein religiöses Instrument. Er soll den Eidleistenden zu einer Verantwortung verpflichten, die diejenige oder denjenigen durch eine göttliche Anrufung moralisch bindet. Ein Gelöbnis ist eine säkulare Abhandlung davon, bei dem der religiöse Aspekt nicht mehr vorhanden ist und daher an Bedeutung verloren hat.
Der Ursprung von Eidesleistungen geht auf die römische Antike und auf die Germanen zurück. Das Berühren von Gegenständen während des Eidablegens soll die eigene ernste Absicht verdeutlichen – vorrangig vor einem Gott oder mehreren Göttern. Der Medien- und Symbolforscher Peter Diem sagt, dass „das Schwören auf eine Fahne, Kreuz oder Bibel – wie beispielsweise das Erheben in den USA der rechten Hand – archaische, religiöse Rechtssymbole sind.“
Der militärische Fahneneid fand bereits in der römischen Antike Verwendung: Jeder römische Soldat musste einen Fahneneid ablegen. In der Spätantike wurde das Römische Reich christianisiert. Durch das Auseinanderfallen des Römischen Reiches zerbrach auch allmählich das Rechtssystem. Die Bibel verbot das Ablegen von Eiden, da man Gott für ein Versprechen „missbrauchte“. Dennoch bestand die mittelalterliche Gesellschaft darauf, weiterhin zu schwören, denn das Ablegen von Eiden ersetzte das römische Rechtssystem. Eide waren eine Art von Versprechen an Gott, die vor allem in Kriegen notwendig war, da die Überwindung eines Eidbruchs im Mittelalter sehr groß war.
Der Reichsrat: Von einer Angelobung zu sieben
Im Mittelalter wurde weiterhin – neben vielen anderen Eiden – der Fahneneid verwendet. Trotz des christlichen Verbots auf Gott zu schwören, legten sowohl Könige als auch Soldaten in regelmäßigen Abständen Eide ab, um ihre ernste Absicht zu bekunden. Sie dienten auch dazu, das Vertrauen der Gesellschaft zu stärken. Eide wurden in der Öffentlichkeit verlesen und geleistet, weshalb deren Bruch umso schwerwiegender war.
„Hierauf haben die neu eintretenden Mitglieder jedes Hauses dem Kaiser Treue und Gehorsam, unverbrüchliche Beobachtung der Staatsgrundgesetze, sowie aller anderen Gesetze und gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten über Aufforderung des Vorsitzenden an Eidesstatt zu geloben.“
§1 der Geschäftsordnung des Reichsrates (15. Mai 1868)
Nicht nur Soldaten und Könige mussten einen Eid leisten: Als Abgeordnete des Reichsrates hatten jene Politiker die Verantwortung für das Volk – besser gesagt für die Völker – zu sprechen und sie zu vertreten. Im 1861 eingerichteten Reichsrat, dem ersten österreichischen Parlament, saßen Vertreter aus allen Teilen der damaligen Monarchie. Sie sprachen viele verschiedene Sprachen. Das Regelwerk des Reichsrates sah Deutsch als die offizielle Amtssprache vor, weshalb es für den damaligen Präsidenten umso überraschender war, dass sechs Übersetzungen – da nicht jeder Abgeordnete der deutschen Sprache mächtig war – für die Angelobungsformeln notwendig waren. Einige Abgeordnete bestanden darauf, das Gelöbnis auch in serbischer beziehungsweise serbokroatischer Sprache leisten zu können, was ihnen lange verwehrt wurde. Zwei Jahrzehnte später entschied man sich dazu, die Angelobungen in allen sieben Sprachen, die von den Abgeordneten gesprochen wurde, zu verlesen, was lange hart erkämpft werden musste.
Der Historiker Harald Binder beschreibt in seinem Buch „Galizien in Wien“, dass das Bestehen auf die Verlesung des Gelöbnisses in eigener Sprache eine wichtige Funktion hatte. Abgeordnete, die nicht Deutsch sprachen, repräsentierten ein Volk, das zumindest mehrheitlich ebenso nicht Deutsch sprach. Insofern hatte das Verlesen der Angelobungen in der eigenen Landessprache eine hohe Bedeutung.
Der Wechsel zu Gelöbnissen
Schließlich gab es für Politiker:innen einen Wechsel vom Eid zum Gelöbnis. Ein Eid soll eine Wahrheitsbekundung vor Gott sein. Durch die Trennung von Kirche und Staat verlor der Eid seine Berechtigung. Aus diesem Grund wurde 1955 das Treuegelöbnis eingeführt, das auf einen Verweis auf Gott verzichtet. Somit wurde die Neutralität gegenüber allen Religionen und die Säkularisierung betont.
„Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.“
Bundespräsident:innen, Landeshauptleute und Mitglieder einer Regierung
Der politische Amtseid hat nicht an Bedeutung verloren, zumindest nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Barack Obama, der von 2009 bis 2017 Präsident war, musste seinen Amtseid einen Tag nach seiner Amtseinführung nochmals leisten, denn der oberste Richter, der dem Präsidenten die Eidesformel vorspricht, hatte zwei Worte des Eids vertauscht. Um sich keine verfassungsrechtlichen Probleme einzuhandeln, leistete Obama den Eid sicherheitshalber nochmal.
Der letzte Eid Österreichs
Der letzte Eid, der heutzutage noch in Österreich geleistet werden muss, ist am Gericht in Verwendung, bei dem jede:r folgenden Eid ablegen muss: „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden einen reinen Eid, daß ich über Alles, worüber ich von dem Gerichte befragt worden bin (werde befragt werden), die reine und volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit ausgesagt habe (aussagen werde).“ Das erfolgt unabhängig davon, welche Religionszugehörigkeit man hat.
Insofern ist die Frage offen, ob dieser bestehende Eid nicht auf eine Pseudosäkularisierung hindeutet und Kirche und Staat in Österreich noch nicht vollends voneinander getrennt sind. Politiker:innen werden zwar heute angelobt – eine religiöse Beteuerung ist trotzdem erlaubt. Zeugen vor Gericht aber, müssen jedoch noch immer einen religiösen Eid leisten. Diem dazu: „In der Tat ist es mir unverständlich, warum der gerichtliche Eid in der Fassung von 1868 weiterhin existiert.“
Die Neos-Abgeordneten Nikolaus Scherak und Niko Alm brachten 2017 einen Antrag ein, der dieses Gesetz ändern sollte. Darin begründen sie die Anpassung des Gesetzes, das sie als „anachronistische Kuriosum“ bezeichnen, damit, dass sie „mit einer säkularen Justiz unvereinbar“ sei. Weiter argumentieren sie in ihrem Antrag: „Der Staat muss sich in der Frage der verschiedenen Werte, Glaubensüberzeugungen und Lebenspläne seiner Bürger neutral verhalten, das bedeutet auch, Anrufungen von religiösen Inhalten in staatlichen Kontexten zu unterlassen.“ Der Antrag blieb jedoch erfolglos: Die säkulare Neutralität bleibt somit weiterhin verletzt.