„Ich habe Dinge gesehen, die ich in diesem Land nicht für möglich gehalten hätte“, sagte Christina Jilek. Und weiter: „Dinge, die mich als Staatsbürgerin wirklich beunruhigt haben.“ Jilek ist jene ehemalige WKStA-Ermittlerin, die im Ibiza Untersuchungsausschuss Einblicke gab, wie auf die WKStA politisch Druck ausgeübt worden ist. Die Juristin ist eine von zwölf Personen, die am 15. Juni ein „Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren“ ins Leben gerufen haben.
Warum das wichtig ist: Die österreichische Justiz sieht sich in letzter Zeit vermehrt mit politischen Angriffen konfrontiert. Das kann zu einem Vertrauensverlust in diese Institutionen führen. Im neuesten Global Corruption Barometer von Transparency International zeigt sich das Ergebnis solcher Attacken: Die knapp 1.000 Befragten aus Österreich sind viel pessimistischer, dass sich Korruption bekämpfen lässt, als der EU-Durchschnitt. Weniger als die Hälfte glaubt, dass es besser wird. In der EU sind es 67 Prozent.
Auch die Europäische Behörde gegen Korruption GRECO sieht Österreich auf einem falschen Weg: In ihrer Evaluation von März 2021 gibt sie Österreich die Note „allgemein unbefriedigend“. Der Grund: Österreich hat wenig bis gar keine Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung umgesetzt, die GRECO seit 2017 fordert.
In dieses Klima kommt nun das Antikorruptionsvolksbegehren. Einige der Forderungen stehen im klaren Zusammenhang mit Aufregern der letzten Wochen und Monate.
Worum es grundsätzlich geht: „Wir sind ein thematischer, zivilgesellschaftlicher Ad-hoc-Zusammenschluss“, meinte Martin Kreutner, Antikorruptionsexperte und früherer Leiter der internationalen Korruptionsakademie. Noch mit dabei sind ehemals hohe Beamte aus der Korruptionsbekämpfung: Franz Fiedler war früher Rechnungshofpräsident, Walter Geyer Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, bei der auch Christina Jilek war. Mit Irmgard Griss ist die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofes dabei, Heinz Mayer war Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät und Michael Ikrath war ÖVP-Justizsprecher. Aus den Einzelpersonen soll sich weder ein Verein noch eine Partei entwickeln.
Das Volksbegehren ist in fünf Themenblöcke gegliedert. Zu jedem Thema gibt es eine Liste mit Vorschlägen zur Verbesserung. Insgesamt 72 Punkte. Das Volksbegehren soll die Richtung vorgeben, aber wie die Probleme am Ende gelöst werden, müssten schon andere entscheiden, so Kreutner. Deshalb finden sich in den Forderungen auch keine vorgefertigten Gesetzesbausteine. Für inhaltliche Gespräche stehen die zwölf Initiator:innen aber schon zur Verfügung – für kosmetische Maßnahmen nicht.
Die Forderungen:
- Anstand & Integrität in der Politik: „Wir alle haben ein Recht darauf, dass Politiker und Politikerinnen mit Anstand, Integrität und Achtung vor dem Amt das Gemeinwohl – die res publica – mit hohen ethischen Maßstab erfüllen und nicht nur am Strafrecht sich orientieren“, so Kreutner.
- Wer höchtgerichtliche oder rechtskräftige Entscheidungen nicht befolgt, soll ihre:seine Funktion verlieren.
- In U-Ausschüssen soll es bei Fragen zu von Grund-, Menschen- und Datenschutzrechten zu einer Abwägung kommen, wie es die Strafprozessordnung schon lange regelt.
- Sanktionen für Nationalrats- und Bundestagsabgeordnete, wenn sie die Verhaltensregeln brechen.
- Politiker:innen sollen sich zu einem Handeln im Sinne der Allgemeinheit verpflichten.
- In allen Parteien sollen Compliance-Management-Systeme eingerichtet werden.
- Die Gesetze der Parteienfinanzierung sollen ausgeweitet werden, Politiker:innen ihre Mandate verlieren können und auch die Spender:innen belangt werden können.
- Die Kompetenzen des Rechnungshofes sollen ausgeweitet werden.
- Es sollen messbare Antikorruptionsvorgaben in der öffentlichen Verwaltung und Vorstands- und Aufsichtsratsebene eingeführt werden.
- Es soll budgetäre Grenzen für Minister:innenkabinette und Werbebudgets geben.
- Österreich soll eine Rolle im internationalen Kampf gegen Korruption einnehmen.
- Stärkung der Rechtsstaatlichkeit & des Wirtschaftsstandortes: „Korruption unterwandert die Demokratie und somit auch den Wirtschaftsstandort“, so Kreutner.
- Die parlamentarische Kontrolle soll durch mehr Ressourcen gestärkt werden.
- Posten-Ausschreibungen sollen in transparenten Verfahren stattfinden und bei einem Bruch Strafen wie Nichtigkeit und Schadensersatz mit sich bringen.
- Unternehmen sollen mit Anreizen und Förderungen dazu gebracht werden Compliance-Management-Systeme einzuführen. Staatliche Unternehmen sollen das auch tun.
- Unabhängigkeit der Justiz: „Die Lebensader einer starken Demokratie und Rechtsstaates ist eine starke und unabhängige Justiz“, so Jilek. Und weiter: „Wenn die Politik von Korruptionsermittlungen betroffen ist, so kann die Politik diese Korruptionsermittlungen nicht kontrollieren. Das geht sich einfach nicht aus.“
- Höchstgerichte sollen beim jetzigen System bleiben und abweichende Minderheitsmeinungen nicht veröffentlichen.
- WKStA und BAK (Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung) sollen verfassungsgesetzlich als unabhängige Behörden aufgestellt werden – wie der Rechnungshof das in Teilen schon ist.
- Eine Bundesstaatsanwaltschaft soll die Kontrolle der Staatsanwaltschaften vom Justizministerium übernehmen.
- Die Verwaltung der Justiz soll politisch unabhängig werden.
- die Bundeswettbewerbsbehörde soll unabhängig bleiben und stärkere Kontrollrechte bekommen. Gleiches gilt für die Finanzmarktaufsicht.
- Antikorruptionsbehörden sollen genug finanzielle Mittel haben, um arbeiten zu können.
- Kriminell erbeutetes Geld soll leichter eingezogen und seinen Besitzer:innen zurückgegeben werden können.
- Antikorruptions– & Transparenz-Gesetzgebung: Der frühere ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath spricht von einem „schlampigen Umgang“ mit Korruption in Österreich: „Das hat dazu geführt, dass wir heute in einer Situation sind, die das Problem systemisch gemacht hat.“ Das System beginne laut Ikrath jetzt zu kippen.
- Der „Mandatskauf“ und die Kandidat:innenbestechung sollen Delikte im Strafrecht werden.
- Beweismittelunterdrückung soll künftig auch im parlamentarischen Untersuchungsausschuss strafbar werden.
- Es soll eine brauchbare Kronzeugenregelung erarbeitet werden.
- Die jüngsten Vorstöße, Razzien im öffentlichen Sektor zu verbieten, sollen nicht weiter verfolgt werden.
- Es soll ein funktionelles Informationsfreiheitsgesetz eingeführt werden – inklusive unabhängige:r Informationsfreiheitsbeauftragte:n. Datenschutz soll nicht mehr zum Abblocken von Anfragen verwendet werden können.
- Das Lobby-Register soll ausgebaut werden und auch für die gelten, die derzeit noch ausgenommen sind.
- Es soll ein legislativer Fußabdruck eingeführt werden.
- Das Staatsarchiv-Gesetz soll auch für neue Kommunikationsmittel wie WhatsApp, SMS oder E-Mails gelten. Zusätzlich soll es Regeln geben, was aus Kabinetten geliefert werden muss.
- Wer Offshore-Firmen verwendet, um Geldflüsse verschleiern zu können, soll keine öffentlichen Aufträge bekommen.
- Whistleblower sollen in Zukunft auch geschützt werden, wenn sie Korruption melden.
- Studien, Umfragen und Forschungen sollen öffentlich werden, wenn öffentliche Stellen 25 Prozent mitfinanziert haben.
- Die EU-Geldwäscherichtlinie soll nationales Recht werden.
- Pressefreiheit, Medienförderung & Inseratenkorruption: „Der Zusammenhang zwischen System und simpler Lebensqualität ist ein untrennbarer“, sagte Heide Schmidt, die erst spät zum Volksbegehren dazugekommen ist.
- Medienförderung soll an objektivierbare Qualitätsmerkmale richten. Dazu zählt die Ausbildung der Journalist:innen, der Anteil investigativer Berichterstattung oder die Anzahl der Auslandskorrespondent:innen.
- Interessenskonflikte und Nahebeziehungen zwischen Journalist:innen und Personen, über die berichtet wird, sollen in Systemen erfasst und veröffentlicht werden.
- Der ORF-Stiftungsrat soll entpolitisiert werden und die Mitglieder sollen sich einem öffentlichen Hearing im Parlament stellen müssen.
- Österreich soll im Kampf gegen sogenannte SLAPP-Klagen eine führende Rolle einnehmen. Das sind Klagen mit einer hohen Schadenssumme, die meistens zur Einschüchterung eingereicht werden.
Die Initiator:innen:
- Werner Doralt: Professor für Steuerrecht der Universität Wien
- Franz Fiedler: früherer Präsident des Rechnungshofs
- Andrea Fried: Kommunikationsberaterin
- Walter Geyer: früherer Leiter der WKStA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft)
- Irmgard Griss: frührere Präsidentin des OGH
- Michael Ikrath: früherer Nationalratsabgeordneter und Justizsprecher der ÖVP
- Christina Jilek: frühere Staatsanwältin der WKStA
- Martin Kreutner: früherer Leiter der Antikorruptions-Akademie (IACA)
- Heinz Mayer: früherer Dekan der Rechtwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien
- Oliver Scheiber: Richter & Autor
- Heide Schmidt: frühere dritte Nationalratspräsidentin
- Hubert Sickinger: Politikwissenschafter & Korruptionsforscher
Wie es weiter geht: Das Volksbegehren wird am 15. oder 16. Juni eingereicht werden, so die Initiator:innen. In einer ersten Phase müssen die Initiator:innen erst einmal 8.400 Unterschriften sammeln. Erst dann informiert das zuständige Innenministerium über das Volksbegehren. Zwei bis drei Wochen später kann es dann von Bürger:innen unterstützt werden. Wenn das Volksbegehren über 100.000 Unterstützer:innen findet, wird es daraufhin im Parlament behandelt werden.