Angeblicher VGN-Anzeigen­stopp zeigt Probleme mit Regierungs­inseraten auf

Ein kritischer Artikel in News soll dazu geführt haben, dass das Finanzministerium keine Inserate mehr schalten werde. Der Fall zeigt Probleme in der Medienfinanzierung auf. Manche sprechen "Inseratenkorruption".

Der Anlass: Das Nachrichtenmagazin News machte öffentlich, dass das Finanzministerium keine Inserate mehr in den Heften der VGN-Verlagsgruppe buchen würde. Grund sollen kritische Berichte über Sebastian Kurz und die türkise ÖVP sein. News titelt in seiner Ausgabe vom 18. Juni „So mies geht’s Türkis“ und bezeichnet Bundeskanzler Sebastian Kurz als einen „Schatten seiner selbst„. Das dürfte nicht allen gefallen haben: Auf Twitter teilte News schon am Tag davor mit, dass das ÖVP geführte Finanzministerium bei der VGN Medien Holding keine Inserate mehr schalten werde. Das BMF ist nach dem Bundeskanzleramt das Ministerium mit dem größten Werbebudget. Laut VGN gehe es um eine Summe von rund 200.000 Euro.

Stimmt nicht, sagt das Finanzministerium von Gernot Blümel, will das aber kurioserweise nur mit Inseratenaufträgen aus dem zweiten Quartal belegen, das mit Juni endet. Auf den eigentlichen Vorwurf, dass in Zukunft im VGN-Verlag nicht mehr inseriert werden würde, geht das Ministerium gar nicht ein.

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Warum das wichtig ist: Regierungsinserate machen ein Vielfaches der Medienförderung aus. Das wird von Expert:innen und Beobachter:innen schon seit langer Zeit kritisiert, weil so Boulevardmedien bevorzugt behandelt werden. Das Mitte Juni vorgestellte Anti-Korruptionsvolksbegehren sprach schon vor diesem Zwischenfall von „Inseratenkorruption„. Nur: Den Willen, das zu ändern, zeigen Parteien oft erst, wenn sie selbst nicht in der Regierung sind.

Der jetzige Streit zwischen der Verlagsgruppe VGN und dem Finanzministerium gibt nicht nur Einblicke, wie die Politik über Inserate Druck auf Medien aufbauen kann, sondern auch, wie für Medien Inserate des Bundes selbstverständlich sind. VGN-Herausgeber Horst Pirker spricht von „Orbánisierung„. Der ehemalige Österreich-Ressortleiter der Kronen Zeitung Thomas Schrems von einem „Sumpf aus systemischer Korruption.“

Für andere Medien ist die angebliche Ansage aus dem Finanzministerium ein Schuss vor den Bug: Wenn sicher geglaubte Einnahmen wegfallen könnten, müssen es es sich Medien zweimal überlegen, ob sie einen kritischen Artikel veröffentlichen können.

Worum es grundsätzlich geht: Die öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden und Betriebe, an denen der Staat mit 50 Prozent beteiligt ist) hat allein 2020 rund 223 Millionen Euro für Inserate ausgegeben. Im Vergleich dazu liegt die Medienförderung im selben Jahr bei knapp 27,5 Millionen Euro. Bei beiden Werten sind Sonderzahlungen wegen der Corona-Pandemie eingeflossen.

Die Bundesregierung hat 2020 durchschnittlich 4,3 Millionen Euro inseriert – pro Monat. Insgesamt 47 Millionen Euro. Er schüttet über Inserate also fast doppelt so viel aus wie über die Medienförderung. Eine Analyse des Medienhauses Wien zeigt, dass das nicht an erhöhten Informationsmaßnahmen während der Corona-Krise liegt, 2018 und 2019 war es auch schon so.

Das Problem liegt dabei in der möglichen Willkür: Bei der Medienförderung gelten klare Regeln, bei Inseraten handhaben das Ministerien nicht so streng. „Die Zielrichtungen der Medienkooperations- und Inseratenpolitik sind dennoch zugleich intransparent, weil sie von Regierungsverantwortlichen nirgendwo als Leitlinien oder gar für alle verbindlich dargestellt oder erläutert werden“, schreibt Medienforscher Andy Kaltenbrunner in einer Analyse vergangenen Jahres.

Es wird zwar immer auf Reichweite und Druckauflage verwiesen, – eine Bemessungsgrundlage, die wieder dem Boulevard in die Hände spielt – die Zahlen geben das aber nicht immer her:

In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vom 8. Jänner 2021 meinte Kanzler Kurz, dass

  • die Verteilung „nach einem aus Mediaanalyse und verbreiteten Auflage (ÖAK) errechneten Mittelwert“ erfolgen würde
  • und Rückschlüsse ohne diese Formel nicht zulässig seien.

Trotz zweimaliger Anfrage, hat uns das Bundeskanzleramt die Formel nicht übermittelt.

Stattdessen kam eine Textaufgabe zurück:

„Die Berechnungsmethode beruht auf einem Prozentsatz, der anhand der MA-Zahlen berechnet sowie einem Prozentsatz der auf Basis der von der ÖAK veröffentlichten Zahlen ermittelt wird. Der Mittelwert aus beiden Prozentsätzen kommt dann bei der Verteilung der zu vergebenden Mittel zur Anwendung. Ausgangspunkt für die Ermittlung der MA-Prozentsätze sind die Reichweiten der Tageszeitungen. Die jeweils aktuellsten Reichweiten der auflagenstärksten 11 Tageszeitungen (www.mediaanalyse.at) werden pro Tageszeitung rechnerisch derart ‚bereinigt‘, dass die Summe der Reichweiten der Tageszeitungen 100 ergibt. Ebenso wird mit den Zahlen der ÖAK verfahren. Ausgangspunkt ist dabei der Jahresschnitt der verbreiteten Auflage. Die Summe aller Prozentsätze ergibt wiederum 100. Der Mittelwert aus dem MA-Prozentsatz und dem ÖAK-Prozentsatz pro Medium wird dann zur Planung herangezogen.“

Und trotzdem scheint es Unschärfen zu geben:
Die Presse hat 2020 von Ministerien Inserate im Wert von 2.1 Millionen Euro bekommen, Der Standard nur 1.5 Millionen Euro. Die Differenz passt aber weder zur Reichweite noch Druckauflage der Medien. Laut Media-Analyse 2020 hatte Der Standard eine höhere Reichweite (7%) als Die Presse (4,3%) und eine knapp höhere Druckauflage.

News vergleicht in seinem Artikel Werbeaufträge des Bundes in der VGN-Gruppe (600.000 Euro bei einer Reichweite von 1,85 Millionen Leser:innen) mit der des Gratisblatts Heute (4,8 Millionen Euro bei einer Reichweite von 714.000 Leser:innen) und der Kronen Zeitung (7,4 Millionen Euro bei einer Reichweite von 1,89 Millionen Leser:innen).

Das Medienhaus Wien hat im September 2020 eine Analyse der Medienkooperationen von Ministerien mit Tageszeitungen von 2018 bis 2019 veröffentlicht. Die Schlussfolgerung von Medienforscher Kaltenbrunner: „Für Inserate in Tageszeitungen wird mehr als doppelt so viel Geld ausgeschüttet wie an Presseförderung an diese ausgezahlt wird. Die Inseratenausgaben nach dem Transparenzgesetz haben damit wesentliche Markt regulierende Wirkung, aber es gibt im Gegensatz zu staatlichen Interventionen wie Presseförderung oder Privatrundfunkförderung keine transparente Beschreibung der Ausgabenziele.“

VGN-Verleger Pirker spricht in einem Interview davon, dass „mit Geben und Entziehen von aus Steuergeld finanzierten Inseraten“ Medienunternehmen „belohnt, sediert oder bestraft“ werden würden. Er fordert einen gesetzlichen Rahmen, der Werbebuchungen regeln soll.

Zur scheinbaren Verteidigung ist am 21. Juni der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger ausgerückt. Eigentlich Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss, sprach er bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz über das hohe Werbebudget der Stadt Wien und drohte pauschal mit rechtlichen Schritten. Ein Ablenkungsmanöver wegen der Anschuldigung von News sei die Pressekonferenz nicht, meinte Hanger, bevor er die Vorwürfe Pirkers zurückwies.

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Hanger kritisierte die Doppelfunktion von Herausgeber & Chefredakteur beim Falter, vergisst aber auf Krone & Österreich.

Das Problem der hohen Werbebudgets kam allerdings nicht mit Sebastian Kurz, der habe es nur perfektioniert, so Pirker und Thomas Schrems, Ex-Ressortleiter der Kronen Zeitung. Schon unter Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sei über Inserate Druck gemacht worden. Auch Schrems erzählte dem Falter von einem Fall aus Wien: Dort sei eine „Kampagne“ über Missstände bei Wiener Wohnen nach einigen Tagen eingestellt worden. Als Grund habe der Herausgeber Christoph Dichand damals das Werbebudget der Stadt Wien von 400.000 Euro angeführt.

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Aber der Druck über Inserate kommt nicht immer von der Politik, es geht auch in die andere Richtung: Herausgeber:innen und Chefredakteur:innen, die von Ministerien Werbeaufträge fordern. Der Rechercheplattform Dossier hat die damalige Außenministerin Karin Kneissl erzählt, wie der Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner gegen eine Senkung des Inseratenbudgets ankämpfte: Fast wöchentlich gab es negative Artikel, Kneissl fühlte sich laut Dossier an „Mafiamethoden der 1930er-Jahre in Chicago erinnert“. Dossier nennt ihn den „korruptesten Medienmacher der Republik“. Auch Ex-Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner berichteten von ähnlichen Situationen mit Fellner.

Fellner sei aber kein Einzelfall, auch Rainer Nowak, Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse habe ihr mitteilen lassen, dass sie Arbeitsplätze gefährde, wenn sie das Werbebudget senke, so Kneissl. Und wie das bei der Kronen Zeitung gehandhabt wurde, hat Schrems dem Falter erzählt: „Egal welcher Minister, Kanzler, was auch immer, kriegt jetzt mal eine Watschen von uns, die kriegt er drei Tage lang, dann schaltet er ein Inserat und dann sind wir wieder Freunde für drei Monate.“

Wie es weitergehen könnte: Ob das Finanzministerium nach der ganzen Berichterstattung wirklich keine Inserate bei der Verlagsgruppe VGN bucht, ist fraglich. Die Zahlen für Werbeaufträge des dritten Quartals werden Ende 2021 veröffentlicht. Daraus lässt sich der Vergleich ziehen.

Die Drohung des Finanzministeriums könnte trotzdem schon Wirkung gezeigt haben: Medien, die von Werbebudgets der Ministerien abhängig sind, müssen von jetzt an einkalkulieren, dass sie Einnahmen der öffentlichen Hand verlieren könnten.